Agilität: Braucht Selbstorganisation noch Führung?

Immer wieder begegnet mir die Frage nach der Rolle von Führung in selbstorganisierten Teams. Werden mit der Auflösung von Hierarchien Führungskräfte überflüssig? Und ist Führung sogar Gift für selbstorganisierte oder agile Teams?

Der Komplexitäts-Experte Niels Pflaeging hat vor einigen Jahre mit „Komplexithoden“ ein wunderbares Buch geschrieben, in dem er erklärt, wie Unternehmen mit Hilfe einer zellulären Struktur der Komplexität des 21. Jahrhunderts gerecht werden können. Eine Idee, die mich schon allein deshalb begeistert hat, weil ich Naturwissenschaftler bin und insofern ein gutes Verhältnis zu Zellen und Gewebestrukturen habe. Manager und Führungskräfte kommen allerdings in diesem Konzept nicht vor. Pflaeging erklärt sie zu „Zombies“ und erklärt sich selbst zum Management-Exorzisten.

Nun folgt Management in der Tat nicht einem Naturgesetz, sondern ist eine relativ neue Erfindung in der Wirtschaftsgeschichte. Es gibt Management erst seit etwa hundert Jahren. Der amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor propagierte Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem Konzept des Scientific Management die Trennung geistig anspruchsvoller Tätigkeit von manuellen Tätigkeiten: Oben wird gedacht, untern wird gemacht, könnte man das etwas verkürzt auch beschreiben. Dieses Prinzip war ein Meilenstein in der Organisationsentwicklung des letzten Jahrhunderts. Mit ihr kam die mehrstufige Aufbauorganisation, später die Matrixorganisation in die Unternehmen. Beides ist nun in Jahre gekommen und wird nicht nur von Pflaeging kritisiert. In der sogenannten VUCA-Welt, in der Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenzen das Wirtschaftsgeschehen beherrschen, müssen wir wohl nach neuen Organisationsprinzipien suchen.

Einer des Schlüsselbegriffe lautet dabei: Selbstorganisation. Sie wird meist dem Begriff Führung gegenübergestellt. Und so spannt Hermann Arnold in seinem Buch „Wir sind Chef“ das Spektrum an Organisationsprinzipien zwischen Diktatur und Chaos auf, mit mehreren Abstufungen zwischen diesen Extremen.

Wir sollten das einmal näher unter die Lupe nehmen und überprüfen, inwieweit Führung und Selbstorganisation tatsächlich zwei Pole auf einer Achse sind. Dazu lade ich Sie auf ein Experiment mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat ein, das zu den Basismodellen von Friedemann Schulz von Thun gehört.

Zunächst stellen wir die Begriffe Führung und Selbstorganisation gegenüber und beginnen mit der Frage, was das Extrem von Führung ist. Anders gefragt: Was macht Führung zu einer negativen Karikatur seiner selbst? Sehr schnell kommen wir auf den Begriff Diktatur. Dort wo Führung ohne regulierende Gegengewichte herrscht, entwickelt Führung autokratische Züge.

Nicht ganz so einfach ist es mit der extremen Ausprägung von Selbstorganisation. Dieser Begriff ist derzeit im Gegensatz zu Führung eher positiv konnotiert und so fällt es den meisten Menschen schwer, eine negative Karikatur dazu zu finden. Einige sagen: Chaos! Aber das trifft es meines Erachtens nicht ganz, denn auch Diktatoren stürzen eine Organisation meist ins Chaos.

Wie wäre es mit dem Begriff Anarchie? Anarchie ist die konsequente Form der Herrschaftslosigkeit. Keine Macht für niemanden. Allerdings: eine Anarchie führt tatsächlich ins Chaos, wie wir in einigen Failed States wie z.B. Somalia und Libyen sehen können.

Und nun stehen wir vor dem Dilemma, dass wir ja beides nicht wollen, weder die Diktatur noch die Anarchie. Wie können wir diese Extreme vermeiden?

Wenn wir uns das nun vervollständigte Werte- und Entwicklungsquadrat genauer anschauen, dann bemerken wir, dass nicht Führung und Selbstorganisation Gegensätze sind, sondern Führung und Anarchie sowie Selbstorganisation und Diktatur, also die diagonalen Begriffspaare. Nun kommen wir zum wertvollen Teil der Beobachtung: Wenn wir Führung und Selbstorganisation nicht als Gegensätze, sondern als Partner begreifen, entsteht eine Balance, welche die Entwicklung zu den beiden Extremen verhindert. Was heißt das nun konkret, wie kann diese Balance entstehen?

    • mind steps - FührungOption 1: Die Führungskraft schafft einen Handlungsrahmen, sie gibt Orientierung über Aufgaben und Ziele und stellt die dazu nötigen Ressourcen zur Verfügung. Die Mitarbeiter organisieren ihre Arbeit innerhalb dieses Rahmens selbtsorganisiert. Die Konzepte der transformationalen Führung und des Servant Leadership gehören in diese Kategorie. In der transformationalen Führung ist der Chef Sinnstifter und Coach zugleich. Beim Servant Leadership ist die Führungskraft quasi Dienstleister. Sie sorgt dafür, dass die benötigten Ressourcen verfügbar sind, damit die Mitarbeiter ihre Jobs erledigen können. Auch Management by Exception hat zum Ziel, Selbstorganisation zu fördern. Hier greift der Chef nur dann ein, wenn Aufgaben nicht mehr adäquat erledigt werden.
    • Option 2: Die Führungskraft verändert ihre Rolle. Sie wird zum Prozessbegleiter und Moderator. Es ist also nicht mehr die Führungskraft, die Vorgaben macht, sondern sie sorgt dafür, dass der Prozess vorankommt – ohne Vorgaben zu machen.  Eine derartige Rolle findet sich z.B. im Scrum Master. Dessen Aufgabe in einem agilen Projekt besteht darin, den Projektfortschritt verantwortlich zu begleiten. Er lädt zu Meetings ein, hat eine Auge auf die Umsetzung der Vereinbarungen und die Erledigung der Aufgaben. Er ist Moderator und Impulsgeber, aber ansonsten inhaltlich nicht involviert.

Egal für welche Form von Führung sich eine Organisation entscheidet: es muss sichergestellt werden, dass Entscheidungen getroffen werden. Und es muss allgemeine Akzeptanz darüber herrschen, wie das geschehen soll. Dabei ist es grundsätzlich egal, wer Entscheidungen trifft. Nur müssen sie getroffen werden. Sonst sind Teams, Firmen und anderen Organisationen nicht handlungsfähig.

Lassen Sie uns darüber reden: Was sind Ihre Erfahrungen mit Führung in ansonsten selbstorganisierten Teams? Was funktioniert gut und wo sind die Stolpersteine?

Ich lade Sie herzlich ein zum After-Work-Coaching Online am Mittwoch, 28. Juli 2021 um 18:00h.

    Ich melde mich hiermit zum nächsten After-Work-Coaching von Dr. Constantin Sander an.

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