Konflikte: Wege aus der Gewalt

Konfliktlösung
Bild von der Webseite des Paretns Circle

Wie hgeht Konfliktlösung in Zeiten von Krieg und Zerstörung? Was kann den gegenseitigen Hass auflösen? Welche Wege gibt es dorthin? Ein palästinensischer und ein israelischer Vater haben einen Weg gefunden. Im November berichteten Sie bei Anita von Hertels EIFM-Meeting von ihrem gemeinsamen Projekt. 

Der Palästinenser Bassam Aramin und der Israeli Rami Elhanan waren so unterschiedlich wie Menschen auf den zwei Seiten dieses über siebzigjährigen Konflikts nur sein konnten. Rami ist Jude, kämpfte im Jom-Kippur-Krieg gegen die Araber, Bassam hingegen erbrachte insgesamt sieben Jahre in israelischen Gefängnissen, weil er israelische Besatzungssoldaten attackierte.

Ein gemeinsames  Schicksal brachte die beiden zusammen. Im Jahr 1997 fiel Ramis damals 14-Jährige Tochter einem Selbstmordattentäter der Hamas zum Opfer, als sie sich in Jerusalem für einen Tanzkurs einschreiben wollte. Sie war zur falsch Zeit am falschen Ort, als sich der Attentäter neben ihr in die Luft sprengte und mehrere Menschen mit in den Tod riss.

Der Araber Bassam hatte im Gefängnis hebräisch gelernt und sich mit der Shoa befasst, die er bisher für eine zionistische Lüge gehalten hatte. Für ihn brach eine Welt zusammen. Er begann die Israelis zu verstehen – bis seine Tochter von einem israelischen Soldaten aus heiterem Himmel erschossen wurde. Sie starb im gleichen Krankenhaus wie Ramis Tochter einige Jahre zuvor.

Drei Tage später trat Bassam dem Parents Circle, einer Opfervereinigung von Eltern, bei und lernte dort Rami kennen. Beide verband ihr gemeinsames Schicksal. Beide hatten ein Kind verloren. Ein Schmerz, der nicht vergeht. Aber beiden wurde darüber auch klar, dass „dein Kind nicht wieder lebendig wird, wenn du das Kind deines Feindes tötest“, wie Rami das formulierte.

Auf die Frage, was seinen einstigen Hass in Empathie gewandelt hat, antwortete Bassam: „Wenn Du den Feind plötzlich selbst als Opfer siehst, dann ist das zunächst ein Schock, denn es zerstört dein bisheriges Weltbild.“ „Wir dürfen uns nicht als Feinde sehen, sondern als Brüder, denn wir sind beide Opfer dieses Konfliktes“, ergänz Rami.

Empathie ist der Schlüssel zum Frieden.

Keine neue Erkenntnis und doch immer wieder wichtig. Wie kann sich aber Hass auflösen und Empathie entstehen? „Indem Du mit Deinem Feind redest“, sagt Rami und fügt hinzu „Ich habe im Alter von 47 Jahren zum ersten Mal mit einem Palästinenser gesprochen.“

Auch Marshall Rosenberg, der amerikanische Therapeut und Entwickler der gewaltfreien Kommunikation sieht in der gelebten Empathie den Schlüssel zum Frieden. Neben dem Blick auf die eigenen Empfindungen, den eigenen Schmerz sollten wir auch in der Lage sein, die Empfindungen und den Schmerz des Anderen wahrzunehmen. Erst wenn das gelingt, ist Frieden möglich.

Zugegeben, das ist manchmal ein schwieriger Prozess, denn wenn der eigene Schmerz einem das Herz zerreißt, wenn die Trauer oder die Wut grenzenlos erscheinen, dann ist oft kein Platz für eine empathische Wahrnehmung des Anderen mit seinen Gefühlen und seinen Schmerzen. Dazu braucht es Zeit. Und es braucht einen gewaltfreien Raum, damit sich Empathie entwickeln kann. Im Krieg ist das schwer möglich.

Dass das aber gelingen kann, zeigen zahlreiche Projekte der Friedensarbeit. So kann sich, wie bei Bassam und Rami, die Erkenntnis durchsetzen, dass der andere, den man bisher als Unterdrücker oder Terroristen gesehen hat, eben auch eine verletzliche, menschliche Seite hat. Das Leid, das man bisher als etwas Trennendes empfand, wird zum gemeinsamen Band. So wandelt sich die Wahrnehmung dergestalt, dass nicht mehr der Andere als Feind erscheint, sondern der Konflikt, den man gemeinsam hat. Man wird zu Partnern im Konflikt. Bei den beiden Vätern hört sich das zum Beispiel übereinstimmend dann so an: „Nicht die Hamas hat diesen Konflikt hervorgebracht, sondern der Konflikt hat die Hamas hervorgebracht!“

Eine derartige Erkenntnis ist ein wahrer Quantensprung, der die Konfliktspirale aufzulösen vermag. Sie öffnet nämlich eine gemeinsame Sicht auf den Konflikt und lässt die gegeneinander gerichtete, feindliche Perspektive verblassen. Systemtheoretisch erklärbar ist das folgendermaßen: Aus systemischer Sicht ist ein Konflikt eine eigene Entität, mit eigenen Dynamiken und einer ihm immanenten Tendenz zur Eskalation. Aus sich heraus lässt sich ein Konflikt nicht lösen. Ganz im Gegenteil. Die Konfliktlogik reißt die Akteure immer weiter in den Strudel der Eskalation.

Erst wenn Menschen sehen können, dass es nicht darum geht, den Gegner sondern den Konflikt zu überwinden, der sie in seinen Bann zieht, dann haben sie die Chance, sich der Eskalation zu entziehen – und eine Konfliktlösung zu finden.

Rami und Bassam haben eben das geschafft. Aus einstigen Feinden sind Brüder geworden. Und sie wissen, dass Empathie dabei die größte Kraft ist.

Empathie ist auch die wichtigste Kraft in jeder Mediation. Ohne sie kommen Menschen nicht aus dem gedanklichen Gefängnis heraus, das sie im Konflikt verharren lässt. Es ist in Konfliktmediationen immer wieder eine Freude zu erleben, wenn Menschen dieses Heureka entdecken.

Empathie ist die Grundlage dafür, um unterschiedliche Bedürfnisse, Meinungen und Lebenskonzepte respektieren zu können. Und genau darum ist es auf allen Ebenen des Zusammenlebens so wichtig, nicht das Trennende, sondern das Verbindende zu suchen. Polarisierung wirkt dem entgegen, empathisch miteinander reden und Kooperation zahlt darauf ein. Vielleicht sind die bevorstehenden Feiertage mal wieder eine gute Gelegenheit, sich das zu vergegenwärtigen.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut“ lässt Antoine de Saint-Exupéry den kleinen Prinzen sagen. Wohl wahr!

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