Wie in der Krise Problemtrancen entstehen – und wie Lösungen wachsen können

KriseIn Zeiten der Krise kann man schon mal besorgt sein. Auch Zweifel sind verständlich. Nur sich „Ver-zweifeln“ sollte man genauso wenig wie sich in Problem-Erzählungen verirren, sonst stärken sie allenfalls den Frust, erzeugen aber keine Lösungen. Wie aber umgehen mit Ängsten-  und wie können in Krisen Lösngen entstehen?

Phasen von Krisen sind auch immer Phasen der Veränderung.

Alte Strategien funktionieren nicht mehr, neue sind noch nicht in Sicht. Das kann Ängste erzeugen. Eine mögliche Reaktion darauf ist die Negation. Man will das Problem nicht sehen, verleugnet es zunächst, flüchtet damit auch vor der Angst. Fast jeder kennt das aus persönlichen Krisen, zum Beispiel in Phasen der Trennung von einem geliebten Menschen, Verlust des Arbeitsplatzes und andere Ereignisse, welche unsere gewohnten Muster des Erlebens und Handelns massiv stören. Auch die Corona-Pandemie war eine solche Krise, auf die Menschen mit Angst und Negation reagiert haben.

In einem früheren Blog-Beitrag hatte ich darüber geschrieben und auch hilfreiche Strategien in der Krise vorgeschlagen. Im heutigen Beitrag möchte ich mich mit dem Phänomen der Problem-Trance und ihrer Auflösung befassen. Auch hierzu hatte ich schon vor vielen Jahren einen Beitrag verfasst.

Zunächst möchte ich ein Missverständnis aufklären, dass gerade im Bereich der lösungsfokussierten Beratung sehr verbreitet ist: Man darf angeblich nicht über Probleme reden, sondern nur über Lösungen. Denn das Reden über Probleme schaffe Probleme, das Reden über Lösungen schaffe Lösungen. Diese pointierte Zuspitzung ist nicht ganz falsch, gilt aber nur für den Fall einer regelrechten Problemtrance, also einem Zustand, in dem unser Erleben vollkommen auf ein sogenanntes Problem fixiert ist, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Wir sind dann vom Problem geradezu gefangen.

Abgesehen davon kann es natürlich sehr hilfreich sein, ein Problem, also eine Abweichung eines wahrgenommenen Zustands vom erwarteten Zustand, festzustellen und zu beschreiben. Ohne die Feststellung dieser Differenz zwischen Wahrnehmung und Erwartung müssten wir uns ja gar keine Gedanken über Lösungen machen. Dann wäre ja gar kein Problem vorhanden oder das Problem schon die Lösung.

Und natürlich ist es daher auch hilfreich, über Unterschiede in den Wahrnehmungen und Erwartungen zu sprechen, denn wo für den einen eine Differenz zwischen beiden erscheint, ist für die andere möglicherweise alles im Lot. Dann würde im Regenfall das „Nicht-Akzeptieren der Kommunikation zurückkommuniziert“ (Luhmann) – und wir haben einen Konflikt.

Probleme mit mit der Manager-Plattitüde „Probleme interessieren mich nicht, ich will nur über Lösungen reden“ zu übergehen, wäre weder wertschätzend noch würde es dem Problem als Phänomen gerecht.

Also: Ja, selbstverständlich darf man über Probleme reden, aber wir sollten uns nicht von ihnen beherrschen lassen.

Letzteres erleben wir allerdings gerade an allen Ecken und Enden. Auch auf politischer Ebene. Jede Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, jedes Zehntelprozent weniger an Wirtschaftswachstum und jeder Euro an gestrichenen Privilegien und jede Meinungsdifferenz zwischen Entscheidern wird zur allgemeines Staatskrise hochstilisiert. Wenn nicht schon zuvor Angst im Spiel war, wird sie spätestens jetzt zur bestimmenden Kraft.

Wenn wir aber überflutet werden von Sorgen und Ängsten, sind wir nicht mehr handlungsfähig und neigen zu Flucht, Aggression oder Erstarrung. Diese von unserem limbischen System im Zwischenhirn erzeugten Reaktionen mögen für den Moment die Illusion der Bewältigung schaffen, sind aber ungeeignet, komplexere Herausforderungen zu meistern.

In einer Krise  ist es wichtig, Handlungskompetenz zurückzugewinnen!

Wie kann das funktionieren? Dazu es ein paar wichtige Aspekte:

    1. Angst verschwindet nicht, indem wir unsere Ängste bekämpfen, sondern, ganz im Gegenteil nur dadurch, dass wir Ängste als einen legitimen Teil unserer selbst akzeptieren. Übertragen auf soziale Systeme bedeutet das: Man bekämpft verbreitete Sorgen und Ängste in der Gesellschaft nicht dadurch, dass man die Ängste negiert und die Ängstlichen abwertet, sondern sie im Gegenteil mit ihren Ängsten respektiert. Das heißt: zuhören, empathisch verstehen.
    2. Hinter jedem „negativen“ Gefühl steckt ein unerfülltes Bedürfnis. Die Frage lautet also, was Menschen brauchen. Gerade in Krisenzeiten ist das Gefühl von Sicherheit und (Selbst)-kontrolle vorherrschend. Wenn diese Sicherheit für den Moment nicht existiert, dann baucht es zumindest Erwartungssicherheit, also den Glauben daran, dass es besser wird.
    3. Erwartungssicherheit bekommen wir dadurch, dass wir erstrebenswerte, erreichbare Ziele Diese sollten Handlungsspielräume lassen, da gerade komplexe Situationen, vor allem, wenn sie unterschiedlich wahrgenommen werden, selten einfache Kausalistiken zulassen.
    4. Um Ziele erreichen zu können, müssen wir unsere Ressourcen aktivieren. Was also kann dazu beitragen, dass wir unsere Ziele erreichen? Welche Erfahrungen, welche positiven Glaubenssätze und welche Fähigkeiten sind uns dabei nützlich?
    5. Krisen und ihre Lösungen zeichnen sich meist durch Ambivalenzen aus. Es gibt also Gegensätze, Widersprüchlichkeiten und daher auch mehrere Wahrheiten, je nach eingenommener Perspektive. Natürlich ist eine positive Veränderung ein Gewinn, aber sie ist meist auch mit Verlust verbunden. Wir müssen also etwas aufgeben, wenn wir uns verändern und etwas Neues gewinnen wollen. Ambivalenzen lösen sich nicht dadurch auf, dass wir die eine oder andere Perspektive verdammen, sondern als Möglichkeit würdigen und in Hinblick auf das (gemeinsame) Ziel prüfen. Das bedeutet auch: Wir erleichtern den Change nicht dadurch, dass wir das Alte, Bestehende abwerten, sondern in seinem Wert für die Entwicklung zum Hier und Jetzt wertschätzen – und damit auch diejenigen würdigen, die dazu beigetragen haben.
    6. Zu guter Letzt müssen wir Entscheidungen treffen, uns also auf ein Ziel und einen Weg festlegen. Als Individuum tun wir das durch Abwägung und mit Bauchgefühl. In sozialen Systemen geschieht das mithilfe definierter Entscheidungswege. In demokratischen Systemen ist das ein Konsens, ein Kompromiss oder eine Mehrheitsentscheidung. Egal wie es geschieht, es ist essenziell für die Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit einer jeder Organisation, vom Startup bis zum politischen System. Geschieht es nicht, droht das System zu zerfallen und durch ein anderes ersetzt zu werden.

„Das Problem ist dann gelöst, wenn es verschwindet.“ (Ludwig Wittgenstein)

Es verschwindet nicht dadurch, dass wir es bekämpfen, sondern dadurch, dass wir eine tragfähige Lösung finden.

Das gleiche gilt für Krisen und Konflikte. Wir lösen sie weder dadurch, dass wir die Krise negieren oder den vermeintlichen Gegner bekämpfen oder gar vernichten, sondern dadurch, dass wir gemeinsam nach Lösungen suchen, die resonanzfähig sind. In uns selbst und in der Gesellschaft, in der wir leben.

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