Raus aus der Krise, aber wie?

Die gegenwärtigen Krisen zeigen, dass wir in Management und Führung umdenken müssen. Der Fokus auf Gewinn und Wachstum ist kein Erfolgsmodell mehr für die Zukunft, die Konkurrenz um Ressourcen verschärft die Krisen. Heute zwei Buchempfehlungen für alle, die in Unternehmen und Organisationen Verantwortung tragen und ihre Organisation zukunftsfähig machen wollen.   

Der Club of Rome hatte schon Anfang der 1970er Jahr vor den Grenzen des Wachstums gewarnt. Hoimar von Dittfurth, dessen Wissenschaftssendung ich in den 1970ern mit Interesse verfolgt habe, warnte schon damals vor dem Klimawandel, der nun jetzt genau so eintritt. Die Sommer werden heißer. Daneben schafft die Digitalisierung nicht nur Annehmlichkeiten, sondern erhöht infolge der Verdichtung der Arbeit i die psychischen Belastungen der Menschen – und so fragen sich viele: Kann das so weiter gehen? Und wenn nein, wie können wir unsere Wirtschaft so umbauen, dass wir unser inneres und äußeres Gleichgewicht wiederherstellen können?

Markus Väth sowie Franziska Fink und Michael Moeller haben dazu interessante Bücher vorgelegt.

Markus Väth befasst sich seit mehreren Jahren mit dem Thema New Work, inspiriert durch die Ideen des österreichisch-amerikanischen Philosophen Fritjof Bergmann, der schon in den 1970er Jahren die Arbeit revolutionieren wollte. Väths Portal Humanfy und seine New Work Charta spiegeln den Think Tank der Neuen Arbeit in Deutschland wieder.

Während vielerorts der Begriff New Work zum Allerweltsbegriff für alles geworden ist, was sich infolge der Globalisierung und Digitalisierung der Arbeit an neuen Möglichkeiten ergibt, ist New Work für Väth immer noch das, was es im Kern immer war: Ein Konzept zur Humanisierung der Arbeit, damit Menschen das tun können, was sie wirklich, wirklich wollen.

MusterwechselVäths neues Buch Musterwechsel, das bei Gabal erschienen ist, ist ein sehr politisches Buch geworden. Es erhebt den hohen Anspruch, die Wirtschaft retten zu wollen. Zugegeben, mich hat dieser Anspruch etwas irritiert, aber auch neugierig gemacht. Der Autor startet mit einem Rundumschlag über den Kapitalismus, den er allerdings sehr verteidigt und gegen dessen Kritiker er kräftig austeilt. Die ersten hundert Seiten sind ein politisches Statement, das ich eher bei Christian Lindner verortet hätte, nicht aber bei einem Vertreter von New Work. Die Linken und Grünen und die Medien würden den Kapitalismus schlecht reden, so der Autor. Da erkenne ich Fritjof Bergmann kaum wieder, der ja auch eher ein Linker und ein pointierter Kritiker des Kapitalismus und seiner Arbeitsbedingungen war. Aber wohlgemerkt, auch Bergmann war kein Marxist, sondern ein Reformer.

Mit scheint, Markus Väth versucht nun, das wirtschaftsliberale Konzept mit seiner Gewinn- und Wachstumsfokussierung hinüber ins 21. Jahrhundert zu retten und irgendwie Bergmanns New Work dort unterzubringen.

Die damit verbundenen Widersprüche löst er aber nicht auf, es entsteht keine wirkliche Synthese, sondern ein munteres Nebeneinander. So verteidigt er einerseits die Gewinnorientierung als Kompass des Wirtschaftens im Kapitalismus. An anderer Stelle kritisiert er, dass Unternehmen auf die finanzielle Wertschöpfung starren wie das Kaninchen auf die Schlange und fordert mehr Blick auf die soften Aspekte, z.B. die Wertschatzung der Mitarbeiter. Weil die aufkommende Purpose-Orientierung von Unternehmen den Gewinn nicht mehr im Fokus habe und die Sinnorientierung aus seiner Sicht überhöht, verortet er diesen Ansatz in den Bereich der Religion. Warum? Purpose stößt in das gleiche Horn wie New Work. Sie hebt die Frage nach dem Sinn von der individuellen auf die organisationale Ebene und definiert Gewinn nicht mehr als Zielfunktion, sondern als notwendige Randbedingung des Wirtschaftens. Dann bricht Markus Väth selbst ein paar Seiten später eine Lanze für sinnvolle Arbeit und vertritt er im letzten Abschnitt den Gedanken einer Gemeinwohlökonomie als Weg in die Wir-Gesellschaft. Wie passt das zusammen?

Was rettet nun unsere Wirtschaft? Bei „Musterwechsel“ finde ich keine Antworten, die mich überzeugen. Väths Ausführungen zur Digitalisierung sowie neuen Arbeitsformen als Chance, zur notwendigen Abkehr von veralteten Management- Methoden und zur zeitgerechten Umorientierung von Bildung gefallen mir gut. Einen echten Musterwechsel kann ich nicht erkennen. Das ist eher Prozessoptimierung. Ich hätte mir statt Polarisierung und Generalisierungen eine Verbindung von kompatiblen Ideen gewünscht, die als Bausteine für eine ökologisch und sozial verträgliche Wirtschaftsweise taugen. Väth versucht aber stattdessen zusammenzubringen, was aus meiner Sicht nicht zusammenpasst: klassischen Wirtschaftsliberalismus und New Work.

Ich habe Zweifel, dass daraus eine Wir-Gesellschaft entsteht, die der Autor im letzten Buch-Kapitel propagiert. Ich befürchte eher, dass dabei eher ein weiter wie bisher in unserer Arbeitswelt herauskommt – allerdings mehr digital, in Teilzeit und im Homeoffice.

Sozusagen New Work Light. Und das wäre dann genau das, was Fritjof Bergmann in seinen letzten Lebensjahren vehement angeprangert hat. Und dennoch müssen wir diese Auseinandersetzung führen. Welche alten Paradigmen wollen wir in dieses Jahrhundert retten und wie retten wir dieses Jahrhundert? Wie vermeiden wir weitere soziale und ökologische Verwerfungen, wie machen wir unsere Wirtschaft sozial und ökologisch kompatibel? Dazu ist das Buch ein guter Anstoß, sozusagen eine provokative Intervention. Danke dafür, Markus.

Neben New Work hat sich in den letzten Jahren eine weitere Bewegung hervorgetan: Die Fokussierung auf den Purpose, den Sinn. Während New Work das Augenmerk auf den einzelnen Menschen setzt, richtet der Purpose-Ansatz den Blick auf die Organisation. Simon Sinek und Dan Pink haben schon vor über zehn Jahren in ihren Ideen über Leadership und Motivation dem Thema „Purpose“ einen breiten Raum eingeräumt. Für Sinek ist sinnfokussiertes Leadership der Kern einer erfolgreichen Führungs-Kommunikation, für Pink ist Purpose einer der drei wichtigsten Motivationsfaktoren in Unternehmen. Auch das Relaunch von Viktor Frankls Idee vom Sinn als zentralem Element psychischer Gesundheit hat der Purpose-Bewegung einen Impuls gegeben.

Playbook Purpose Driven OrganizationsFranziska Fink und Michael Moeller konnten vor einigen Jahren mit ihrem Buch Purpose Driven Organizations zeigen, dass die Orientierung auf Sinn für Unternehmen keine idealistische Träumerei ist, sondern zum betriebswirtschaftlich einen echten Mehrwert liefern kann und zum anderen auch volkswirtschaftlich Sinn macht. Negative Umwelteffekte fressen bei 15% der Unternehmen den Gewinn komplett auf, bei weiteren 32% wird dieser stark reduziert, so eine Studie der Harvard Business School. So macht nachhaltiges Wirtschaften tatsächlich Sinn. Aber ist der Fokus auf den Sinn auch profitabel? Das scheint in der Tat so zu sein.

Laut dem Global Leadership Forecast 2018 schneiden Purpose Driven Unternehmen finanziell um 42 Prozent besser ab als der Wettbewerb.

Weitere Studien weisen in die gleiche Richtung. Purpose, richtig gelebt, ist also kein schönes Etikett ohne wirtschaftlichen Wert, sondern auch betriebswirtschaftlich offenbar ein positiver Faktor.

Wie aber haucht man Unternehmen Purpose ein? Das beschreiben Fink und Moeller in ihrem Playbook Purpose Driven Organizations. Dabei betonen Sie, dass man Organisationen den Purpose eigentlich gar nicht einhauchen muss, denn er sei schon da. Man müsse ihn nur finden und an die Oberfläche befördern.

Damit das gelingen kann, reicht es nicht, den wir auch immer gearteten Purpose zu benennen und der Corporate Identity hinzuzufügen. Sinn ist auch kein Unternehmensziel, sondern sollte ein Teil der DNA des Unternehmens werden. Dazu braucht es mehr als Proklamationen und verordnen kann man den Sinn auch nicht.  Sinn muss gemeinsam entdeckt und geschärft werden und muss Relevanz für Ziele sowie Prozesse in der Organisation haben. Das geht aus Sicht der Autoren nur mit den Mitarbeitern.

Fink und Moeller liefern dazu einen sehr handlichen Leitfaden, in dem Sie vier Phasen der Implantierung von Purpose im Unternehmen beschreiben. In der ersten Phase geht um das Finden des Purpose und dessen Verbindung mit den Menschen in der Organisation.  Die zweite Phase befasst sich mit der Aufgabe, wie sich der Sinn auf Entscheidungen auswirkt. Das betrifft Planungsprozesse und strategische Entscheidungen ebenso wie die Art und Weise der Entscheidungsfindung.

Dazu werden verschiedene Methoden der Entscheidungsfindung vorgestellt, wie zum Beispiel das systemische Konsensieren und der konsultative Einzelentscheid. In allen geht es um die Einbeziehung der Mitarbeiter auf unterschiedliche Weise. Getragen ist diese Idee von der Überlegung, dass Beteiligung und Selbstorganisation wichtige Tugenden sind, um Purpose in die Organisation hineinzutragen. Nur so kann die Motivation entstehen, den Purpose auch tatsächlich zu leben.

In der dritten Phase geht es um die Festlegung von Rollen und die Art der Zusammenarbeit. Dabei stehen Konzepte wie Holacracy und agiles Projektmanagement Pate. Die vierte Phase schließlich heißt „Purpose meets People“. Dabei rückt der Mensch im Sinne des Purpose in den Mittelpunkt. Er ist nicht Objekt in einem Arbeitsverhältnis, sondern autonomes und mitgestaltendes Subjekt.

Franziska Fink und Michael Moeller liefern keine neuen Blaupausen für die Entwicklung von Organisationen. Sie bieten vielmehr einen Fahrplan für eine sinnorientierte Transformation an. Dabei grenzen Sie sich nicht von anderen Konzepten ab, sondern implementieren diese in ihres. So entsteht wohltuende Synergie von Purpose, Agilität und Holacracy. Lesenswert für alle, die einen praxisorientierten Leitfaden zum Umsetzen sinnorientierter Unternehmensführung suchen.

Väth, Markus (2022): Musterwechsel. Wie wir unsere Wirtschaft retten.: GABAL Verl., 248 S.

Fink, Franziska; Moeller, Michael (2022): Playbook Purpose Driven Organizations. Der Navigator für Purpose Drive in Ihrem Unternehmen: Schäffer-Poeschel.

 

 

Das könnte Sie auch interessieren:

Diesen Beitrag teilen