Werte: Darf man mit Schurken Geschäfte machen?

Werte: Darf man mit Schurken Geschäfte machen? Katar ist ein feudalistischer Staat. Darf dort eine WM stattfinden? Und darf man überhaupt mit solchen Staaten Geschäfte machen? Über Werte, Interessen und was das für Unternehmen bedeutet.

Die WM in Katar ist vorbei. Viele hätten sie ohnehin gern boykottiert. Wegen der Menschenrechte. Über Wochen stand der Wüstenstaat nicht nur im Rampenlicht des Fußballs, sondern auch im Dauerfeuer der Kritik. Und als dann zum Abschluss Lionel Messi auch noch ein traditionelles arabisches Kleidungsstück umgehängt bekam, fragten sich viele, ob das nicht eine unzulässige Vereinnahmung durch den Herrscher von Katar sei. Fast zeitgleich meldeten die Medien eher beiläufig, dass Deutschland ab 2025 mit Flüssiggas aus Katar beliefert wird. Kein Aufschrei, kein Protest. Nichts. Gas ja, aber WM nein? „Auf Energie kann man nicht verzichten, auf Fußball notfalls schon.” Auf Menschenrechte auch? Auf Klimaschutz ebenfalls? Notfalls? Ein Dilemma.

Aber das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Darf ein Unternehmen wie Volkswagen in Xingjiang Autos produzieren, obwohl dort die Uiguren von der chinesischen Regierung massiv unterdrückt werden? Vielleicht nicht. Aber: Dürfen wir beim Discounter Billigtextilien kaufen, die in Asien von schlecht bezahlten Tagelöhnern unter teilweise unwürdigen Arbeitsbedingungen produziert werden? Vieleicht schon, wenn uns die Markenklamotten zu teuer sind?

Wenn Interessen auf Moral treffen, verliert meist die Moral.

Muss das so sein? Lässt sich dieses Dilemma irgendwie auflösen? Ist der Moral immer der Vorzug zu gewähren oder können wir gar beides miteinander versöhnen? Und dürfen wir überhaupt Moralisieren, wo wir doch inkonsequent mal dem einen oder dem Anderen den Vorzug geben? Ist das nicht heuchlerisch?

So viele Fragen. Hier der Versuch einer Klärung.

Schon vor einhundert Jahren hat dieses Dilemma den deutschen Soziologen Max Weber beschäftigt. Er stellte aber nicht Werte gegen die Interessen, sondern erhob auch die Interessen auf das Podest der Ethik: Er stellte der Gesinnungsethik eine Verantwortungsethik gegenüber. Dabei betonte er aber, dass keineswegs Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Ebenso dürfe eine Gesinnungsethik nicht zur Verantwortungslosigkeit führen. Damit ist verantwortungsethisches Handeln nicht gleichzusetzen mit einem rein nutzenorientierten Handeln, wie es die Utilitaristen fordern. Oder einfacher formuliert: Interessen sollten sich nicht gegen Werte stellen – und umgekehrt.

Wir können feststellen: Weber ist überraschend aktuell. Und vielleicht auch jenseits von Politik eine Orientierung? Wenn wir auf die besagte Weise Interessen und Ethik vereinen, hätten wir eine Balance zwischen Werten und Interessen. Werte sind der verbindende Kitt in einer Gesellschaft. Das gilt aber nur dann, wenn sie sind nicht diktiert werden, sondern der allgemein akzeptierte Kodex des Zusammenlebens sind, der immer wieder neu justiert werden muss. Werte sind immer wieder aufs Neue das Ergebnis einer sich verändernden Kultur.

Waren z.B. Arbeiter zu Beginn der Industrialisierung quasi rechtlos und der Herrschaft der Fabrikbesitzer unterworfen, erreichte die Gewerkschaftsbewegung seit dem 19. Jahrhundert maßgebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung in der Industrie. Die Interessen der Arbeiter erlangten damit mehr und mehr an Wert-Schätzung und heute spricht man sogar von Tarif-Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Interessen haben damit einen Wert und zu deren Ausgleich dienen Verhandlungen und Vereinbarungen.

Gilt das auch für Organisationen und insbesondere für Unternehmen? Aus meiner Sicht: Ganz klar ja!

Werte und Interessen sind Partner für ein kooperatives Miteinander.

Dort, wo (Einzel-) Interessen über alles gestellt werden, gehen verbindende Werte verloren. Konkurrenz ersetzt Kooperation. Und dort, wo Werte gegen Interessen gestellt werden, verliert ein Unternehmen den Fokus auf seinen Unternehmenszweck und verdient irgendwann kein Geld mehr. Wertschöpfung sollte den Interessen der Stakeholder dienen und zugleich deren Werte respektieren. Interessenfokus unter Vernachlässigung von Werten führt zu Skrupellosigkeit, während der alleinige Fokus auf Werte Gefahr läuft, zur Ideologie zu verkommen.

Und nicht zuletzt deshalb wäre es aus meiner Sicht hilfreich für Unternehmen, sich über beides, die Interessen der Stakeholder und die gemeinsamen Werte Gedanken zu machen. Das eine durch das andere zu ersetzen, halte ich für keine gute Idee. Oder um mit Max Weber zu sprechen: Eine Gesinnungsethik ohne Verantwortungsethik ist wenig zielführend.

Ja, das kann dazu führen, dass man auch mit Schurken mangels Alternative Geschäfte machen muss. Und ja, es kann auch dazu führen, dass man ein Land wie Katar als Gastgeberland für eine WM würdigt und gleichzeitig deren Umgang mit den Menschenrechten scharf kritisiert. Beides darf sein. Kommen wir weg vom Moralisieren und öffnen uns einer von Werten geleiteten Verantwortungsethik. Deren Grenzen müssen immer wieder aufs Neue ausgelotet werden.

Wie sehen Sie das? Kommentare sind willkommen!

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