Wider die Diktatur des Postfaktischen

miss-liberty-criesDonald Trump wird der fünfundvierzigste Präsident Amerikas. Diese Nachricht hat in weiten Teilen der Welt eine Schockwelle ausgelöst, aber bei vielen Menschen eben auch Jubel. Ich musste mich darüber erst einmal sammeln. Und nun schreibe ich doch etwas dazu. Wie ist das Phänomen Trump zu erklären und einzuordnen?

Der 9. November ist für uns Deutsche ein Schicksalsdatum. Im Jahr 1918 wurde nach dem Ende des desaströsen ersten Weltkriegs an diesem Tag die Weimarer Republik ausgerufen, die aber nur fünfzehn Jahre Bestand haben sollte. Zwanzig Jahre später zerstörte der nationalsozialistische Mob landesweit die Synagogen. Und am 9. November 1989 öffnete sich die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten. Als ich am Morgen des 9. Novembers 2016 die Nachricht vom Wahlsieg Trumps hörte, war ich fassungslos. Ist der 9. November ein Datum alternierender Glücksmomente und Katastrophen? Wie kann es sein, dass ein Hypernarzisst und in politischen Dingen derart unerfahrener Mann zum mächtigsten Mann der Welt gewählt wird?

Woher kommt das Charisma dieses Tycoons? Wieso sind so viele Menschen dafür empfänglich? Was ist das Rezept seiner Kommunikation? Und was setzen wir dem entgegen?

In meinem Buch „Change! Bewegung im Kopf“, das 2010 erschienen ist, habe ich über Charisma geschrieben, dass es darauf ankomme, die vier Grundbedürfnisse, Orientierung und Kontrolle, Selbstwertschutz- und Selbstwerterhöhung, Bindung und Lustgewinn bei Menschen zu aktivieren. Wem das gelingt, der baut Rapport zu den Menschen auf, dem wird Charisma zugeschrieben. Wie schon acht Jahre zuvor Obama ist das nun Trump hervorragend gelungen. Trump hat weite Teile der amerikanischen Mittelschicht erreicht, die von der Angst vor ihrer Marginalisierung in einer globalisierten Welt getrieben wird. Trump bietet dazu vielen Menschen ein Weltmodell an, das den Kontrapunkt zur Globalisierung darstellt. Und das mit der Wucht der Demagogie. Paranoia schlägt Ratio.

In einem Facebook-Kommentar schrieb gestern Hans G. Stamm:

„Im Mittelalter sahen die Menschen nur, was sie glaubten, seit der Aufklärung glaubten sie nur noch, was sie sahen. Heute glauben sie, etwas gesehen zu haben und halten das für die Realität. Wenn tatsächlich einmal etwas unübersehbar Reales passiert, sind alle schockiert. Willkommen in der Welt der Wahrnehmungsfilter.“

Viele Menschen sind angekommen in der Welt des Postfaktischen. Sie glauben nur noch das, was sie glauben wollen – frei nach dem Pippi Langstrumpf-Prinzip: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Trump hat im Wahlkampf gelogen wie wohl kein Präsidentschaftskandidat vor ihm, Fakten behauptet, die es nicht gibt. Das Erstaunliche ist: Es interessiert seine Wähler offenbar gar nicht, Es ist ihnen egal. Da gewinnt der Begriff Konstruktivismus eine völlig neue Bedeutung. Die Welt des Postfaktischen erschließt sich dem Rationalisten nicht mehr, seine Argumente laufen ins Leere, weil die Gemeinschaft der Gläubigen längst in die Welt der Ideologie abgedriftet ist. Die schottet sich durch die Behauptung ab, jedes Gegenargument sei ein Beweis dafür, dass der Kritiker vom „System“ gekauft ist oder eben einfach die Wahrheit nicht sehen wolle. Wobei Wahrheit natürlich der Deutungshoheit der Gläubigen unterliegt. Dem gilt es entgegen zu treten. Wer die Ratio aufgibt, zerstört eine wichtige Grundlage menschlicher Potentialentwicklung. Aber wer die Herzen nicht ereicht, dem nutzt all die Ratio auch nichts.

Demagogen arbeiten mit Halbwahrheiten, Verzerrungen, maßlosen Übertreibungen, Generalisierungen und Polarisierungen. Die Welt des Demagogen ist trivial und damit leicht verdaulich. Mentales Fast Food sozusagen. Es gibt nur schwarz und weiß, keine Grautöne, geschweige denn Farben. Und wenn die Welt zu kompliziert und zu komplex wird, dann verkauft ein Trump einfach einen Hammer, um alles kurz und klein zu hauen. Der Demagoge instrumentalisiert Ängste, verstärkt sie und bietet dann auch gleich sich selbst als Heiler an. Ein uralter Mechanismus, der immer wieder verfängt.

Mit dieser Trivialisierung wird meine Welt scheinbar wieder erklärbar, handhabbar und gewinnt für mich einen Sinn. Doch diese Sinnhaftigkeit, die der neue im Weißen Haus den Leuten verkaufen will, ist eine Welt von gestern. Es ist ein Programm, das man vor hundert Jahren schon hätte schreiben können: Ein Loblied auf die Industrialisierung (die längst überwunden ist), auf Law and Order (gähn) und den Protektionismus (uff). Dazu noch: Unternehmenssteuern runter für den Aufschwung (hat noch nie funktioniert) und ein paar Almosen für die Bildung der Armen (immerhin).  Das ist keine Revolution, sondern ein Roll Back in vergangene Zeiten, die sich seine Wähler sicher herbeisehnen, die aber nicht wieder kommen werden. Das ist so trivial wie bitter.

Die Welt wird bunter, diverser, agiler und immer vernetzter. Daran wird auch ein Trump nichts ändern.

Aber die Mehrheit der Menschen lebt offenbar immer noch in der Illusion, ein starker Mann oder gern auch eine starke Regierung müsse nur ein paar Hebel ziehen und einige Knöpfe drücken, um den Zug zurück ins Paradies ins Rollen zu bringen. Das ist eine völlig veraltete Vorstellung von Staatskunst.

Erstens liegt nicht in der Vergangenheit unser Glück, sondern in der Zukunft und zweitens funktioniert unsere komplexe und dynamische Welt eben anders. Die bekommen wir nur durch Vernetzung der Kompetenzen, durch Beteiligung, Diskurs und Streit über gute Lösungen in den Griff. Das ist und bleibt ein iterativer, ein schrittweiser Prozess. Und das erfordert die Bereitschaft, die Opferrolle zu verlassen und mitzugestalten. Das kostet oft genug Schweiß und Tränen. Aber Leidenschaft ist der Treibstoff mit dem das gelingt.

Dazu brauchen wir keine Hypernarzissten, welche behaupten, die Wahrheit zu kennen, welche die Gesellschaft spalten, polarisieren und Menschen ausgrenzen. Aber dazu brauchen wir auch keine Expertokraten, die heimlich Verträge aushandeln, um sie der Gesellschaft dann als alternativlos zu verkaufen. Nein, dazu brauchen wir Leute mit der Bereitschaft zuzuhören und zu verstehen, zu träumen, Dinge zu hinterfragen und immer wieder mit anderen gemeinsam nach guten Lösungen suchen. Ich erlebe in meinen Workshops immer wieder, was das für eine tolle Reise miteinander ist. Und ich bin überzeugt, dass das auch in größere Einheiten skalierbar ist. Inzwischen finden derartige Prozesse sogar auf Städteebene statt. Nichts spricht dagegen, das weiter zu öffnen, die Digitalisierung macht‘s möglich. Das alles sind Ergebnisoffene Prozesse, aber sie sind lösungsorientiert und bauen auf den Ressourcen der Menschen auf.

Die Welt braucht keine Trumps, die emotionalisieren, spalten und zerstören und die zurück in die Vergangenheit wollen. Die Welt braucht Menschen mit Herz und Verstand, die gemeinsam eine neue Zukunft aufbauen.

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2 Antworten auf „Wider die Diktatur des Postfaktischen“

  1. Enorm gute Beobachtung,Darstellung und Beurteilung , lieber Constantin!Offenbar fährt aber in der ganzen Welt dieser „interaktiven Globalisierung“ der Zug den Menschen viel zu schnell!Dein „Modell“ erfordert Bildung,sozialverträgliche Partizipation und „Beteiligung“ oder zumindest eine Perspektive dafür.Russland,Türkei,Philipinen,Ungarn,Polen….Grossbritannien , Frankreich,Holland,Österreich…und in D mit der AFD….überall findest Du das gleiche Muster.
    Wer kann also diesen „Zug“ also verlangsamen und die Menschen „mitnehmen“ bevor dieses „Trump-Muster“ die gesamte Welt erfasst?
    DAS ist doch die grosse Frage,oder?!Herzliche Grüsse!Stephan

  2. Lieber Stephan,
    diese politische Reife kann nur durch Beteiligung wachsen. Ich denke wir brauchen über die repräsentativen Prinzipien hinaus mehr Möglichkeiten des offenen Diskurses. Auf kommunaler Ebene gibt es schon Beteiligungsverfahren bei städtebaulichen Planungen, die weit über Akteneinsicht hinausgehen. Dort können Bürger Vorschläge unterbreiten, diskutieren, eigene Konzeote erarbeiten. Entschieden wird dann aber von den politischen Gremien. Das funktioniert ganz gut.
    Schwieriger wird es bei den wirklich großen Themen wie Bankenrettung, CETA und soziale Reformen. Aber auch da ist Partizipation dank der Digitalisierung möglich. Allerdings geht es hier vielfach um fachlich derart komplexe Themen, dass die meisten Bürger sich damit gar nicht näher beschäftigen wollen.

    Da fehlt mehr und mehr das Vertrauen in die Politik. Was wir derzeit erleben, kann man getrost als Krise des Westens mit einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bezeichnen. Spätestens seit der Finanzkrise ist hier etwas aus dem Lot geraten. Viele Menschen fühlen sich abgehängt oder fürchten die Marginalisierung. Wenn, wie in den USA, die Mittelschicht wegbricht, fehlt ein wichtiges Bindeglied in der Gesellschaft. Das ist eine politische und soziale Aufgabe. Die Wahl Trumps sollte ein Warnschuss sein.
    Herzliche Grüße
    Constantin

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