Gewaltlosigkeit: Frieden schaffen mit oder ohne Waffen?

Wie lassen sich gewalttätige Konflikte klären? Was kann man Gewalt entgegensetzen? Gibt es Grenzen der Gewaltlosigkeit?  Was kann Gewalt rechtfertigen? Wie kommt man aus der Spirale der Gewalt wieder heraus? Diese Fragen bewegen derzeit sehr viele Menschen. Hier der Versuch einer Antwort aus der Sicht eines Mediators. 

Erlauben Sie mir einige persönliche Worte vorweg. Am 24. Februar fühlte ich mich an die Worte des preußischen Generals und Militärtheoretikers Carl von Clausewitz erinnert, der einst die These aufstellte, dass Krieg die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln sei. Sind wir wieder soweit, dass Angriffskriege zum probaten Mittel der Politik geworden sind? Spätestens seit den beiden Weltkriegen und im Angesicht von Massenvernichtungswaffen wissen wir, dass Kriege als politisches Werkzeug völlig untauglich sind. Gewalt ist keine andere Form der Politik, sie ist genau das Gegenteil von Politik.  Denn kriegerische Gewalt schafft irreversible Fakten, bedroht Menschen, Volksgruppen, ja ganze Völker existenziell. Gewalt erzeugt daher meist Gegengewalt und die Gegengewalt wieder Gegen-Gegengewalt, so dass Kriege dahin tendieren, in einer Eskalationsspirale außer Kontrolle zu geraten.

Politische Prozesse lassen sich steuern, gewalttätige Abläufe kaum. Das alles sollten wir spätestens seit 1945 wissen. Dachte ich. Selbst die „gutgemeinten“ Kriege in Afghanistan, im Irak, in Syrien und in Libyen haben keine friedliche Ordnung, sondern eher mehr Leid und Chaos geschaffen.

Was kann man einem gewalttätigen Konflikt entgegensetzen, wie kann man ihn beenden? Kann man mit Gewalt oder mit Unterstützung von Gewalt Frieden schaffen? Oder müssen wir Gewalt grundsätzlich mit Gewaltlosigkeit beantworten? Ist Gewaltlosigkeit ein universelles Prinzip?

Beginnen wir mal mit der Frage, ob Gewalt Frieden schaffen kann. Die Antwort ist ganz klar: Nein. Denn Frieden ist ein Zustand der Gewaltlosigkeit. Aber müssen wir dann nicht jeder Gewalt abschwören? Die Antwort ist ebenfalls: Nein. Denn auch Gewaltlosigkeit setzt der Gewalt kein Ende. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?

Um hier ein wenig mehr Klarheit zu schaffen, muss ich ein wenig ausholen. Stellen wir einmal der Gewaltlosigkeit die Gewaltbereitschaft oder auch die Wehrhaftigkeit gegenüber, denn um diese scheinbaren Gegensätze geht es ja im Kern.

Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass wir eskalierende Gewalt ablehnen, sie als Bedrohung betrachten. Fragen wir uns also, wohin Gewaltbereitschaft im Extremfall führen kann. Was meinen Sie? Für mich ist die Extremform von Gewaltbereitschaft der Wille zur Vernichtung des Gegners. Können Sie mir soweit folgen? Gut. Und nun schauen wir uns einmal die andere Seite an: Was ist die extremste Form der Gewaltlosigkeit? Für mich ist das der Zustand der Wehrlosigkeit und der Unterwerfung. Sind wir uns da ebenfalls einig? Ok.

Gewaltlosigkeit

Betrachten wir nun die beiden Tugenden Gewaltbereitschaft bzw. Wehrhaftigkeit und die Gewaltlosigkeit sowie ihre jeweiligen extremen Ausdrucksformen im Vergleich, dann können wir feststellen, dass sich bei näherer Betrachtung nicht Wehrhaftigkeit und Gewaltlosigkeit als Pole gegenüberstehen, sondern:

  • die Gewaltlosigkeit gegen den Willen zur Vernichtung des Gegners und
  • die Wehrhaftigkeit gegen die Wehrlosigkeit.

Was heißt das nun ganz konkret? Ich denke, Sie ahnen es bereits: Wollen wir nicht wehrlos sein, braucht es einer Wehrhaftigkeit. Und: soll diese Wehrhaftigkeit nicht zur angestrebten Vernichtung des Gegners mutieren, brauchen wir die Gewaltlosigkeit als ausbalancierendes Prinzip. Das heißt aber auch: Wer nur die eine Tugend verfolgt, riskiert die Mutation dieser Tugend zu ihrem negativen Extrem. Aus Gewaltlosigkeit wird Wehrlosigkeit und aus Wehrhaftigkeit entwickelt sich ein Vernichtungswille. Es hilft nichts: Um Frieden zu bewahren, braucht es beider Tugenden!

Gewaltlosigkeit versus Wehrhaftigkeit

Gewaltlosigkeit kann folglich nicht ohne Wehrhaftigkeit existieren. Und umgekehrt. Übrigens ist das selbst bei prominenten Vertretern der Gewaltlosigkeit nicht strittig. Marshall Rosenberg, der Schöpfer der gewaltfreien Kommunikation betonte einst, dass er es in Gegenwart akuter Gewalt für durchaus geboten hielte, dem Gewalttäter das Handwerk zu legen. Erst in Abwesenheit von Gewalt kann Gewaltlosigkeit zum universellen Prinzip werden.

In jeder zivilisierten, friedlichen Gesellschaft gehört das zum ordnenden Grundkonsens. Jegliche Form der Gewalt ist moralisch und rechtlich geächtet, das Gewaltmonopol liegt in demokratischen Rechtsstaaten ausschließlich beim Staat. Und auch der darf Gewalt nur zur Aufrechterhaltung einer freiheitlichen und friedlichen Ordnung einsetzen. Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht die USA, die Waffenbesitz und -Einsatz unter bestimmten Voraussetzungen Privatleuten zugestehen.

Was bedeutet das nun grundsätzlich zur Beilegung von eskalierten Konflikten? Ich fasse das mal zusammen:

  1. Gewaltlosigkeit ohne Wehrhaftigkeit führt gegenüber einem gewaltbereiten Kontrahenten zu Wehrlosigkeit und Unterwerfung.
  2. Das Ziel, den Gegner zu vernichten, führt in Konflikten zur Eskalation. Oder einer Gewaltherrschaft.
  3. Nur unter der Voraussetzung gegenseitiger Anerkennung der Interessen und dem beiderseitigen Willen zur Gewaltlosigkeit können Konflikte friedlich geklärt werden. Allein unter dieser Bedingung ist das Ziel „Frieden schaffen ohne Waffen“ überhaupt erreichbar.
  4. Solange die Waffen sprechen, ist eine friedliche Lösung ausgeschlossen.
  5. Waffengleichheit führt zu einer Balance der Wehrhaftigkeit und öffnet damit die Tür zu Verhandlungen auf Augenhöhe und zu gewaltfreien Lösungen.

Welche Schlüsse ziehen wir nun daraus? Weder die Unterwerfung gegenüber einem Aggressor noch dessen Vernichtung können sinnvolle Ziele in einem gewalttätigen Konflikt sein, wenn wir sowohl eine Gewaltherrschaft als auch eine gefährliche Eskalation vermeiden wollen. Es braucht demgegenüber beides: Wehrhaftigkeit auf der einen Seite, aber auch den Willen, mit dem Gegner eine friedliche Lösung zu erreichen, in der alle Interessen gehört werden und Platz finden.

Dies gilt übrigens nicht nur für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Es gilt ebenso für die vielen kleinen Kriege, sei es in familiären oder beruflichen und geschäftlichen Beziehungen. Erst wenn alle Konflikt-Beteiligten verbaler oder physischer Gewalt abschwören, sich mit Respekt und Wertschätzung begegnen, sind Lösungen zum Vorteil aller Parteien möglich.

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