Buchtipp: Kybernetik, Kommunikation und Konflikt von Lina Nagel

Kybernetik, Kommunikation und Konflikt von Lina NagelKonflikte sind manchmal so schwierig zu lösen, weil unsere tradierten Blickweisen auf sie oft wenig hilfreich sind und eher zur Eskalation als zur Auflösung beitragen. Die Kommunikations- und Organisationswissenschaftlerin Lina Nagel hat beim Anthropologen Gregory Bateson nachgeschaut, wie das kommt und wie Batesons Sichtweisen uns helfen können, Konflikte zu überwinden. 

Wer sich mit Kommunikation befasst, dem ist der Begriff Double Bind möglicherweise vertraut. Er bezeichnet Konstellationen paradoxer Kommunikation mit sich ausschließenden Aussagen nach dem Muster „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Als Beziehungsmuster ist der Double Bind toxisch, da er das Unmögliche will, meist in verschlüsselten Botschaften. Mir ist dieses faszinierende Phänomen zum ersten Mal während in meiner NLP-Ausbildung begegnet. Es geht auf Gregory Bateson zurück, der eigentlich Anthropologe war, aber „uneigentlich“ zu einem der letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts gehörte, da er die Grenzen von Anthropologie, Biologie, Psychologie und Philosophie mühelos überwand und damit einen Keim für neues Denken legte, der viele Denkschulen befruchtete.

Lina Nagel hat in ihrem Buch Kybernetik, Kommunikation und Konflikt Batesons Schaffen mit der Frage durchforstet, welche Aspekte sich aus seinem Werk für eine systemische Konflikttheorie ableiten ließen. Sie ist fündig geworden.

Wenn wir Konflikte betrachten, dann meist auf der Grundlage mehrerer erkenntnistheoretischer Irrtümer. Ein Grundproblem liegt im dualistischen, kausalistischen Blickwinkel, der die Akteure im Konflikt in Täter und Opfer teilt, deren jeweilige Rollenzuordnung allerdings immer im Auge des Betrachters liegt. Allein diese Tatsache sollte uns zu der Vermutung verleiten, dass hier kaum ein Lösungsansatz liegen kann. Uns so steigt die Autorin auch bei Batesons kybernetischer Erkenntnistheorie ein, die bis heute die systemischen Beratungsansätze prägt. Der erste erkenntnistheoretische Irrtum liegt in unserer Vorstellung von Objektivität und Wahrheit.

Die Vorstellung von Objektivität unterliegt dem Irrtum, dass es eine Beobachtung ohne Beobachter geben könne (Heinz von Foerster). Wir sind aber immer Teil des zu betrachtenden Ganzen oder aber außenstehender Beobachter, der nie vollständig kongruent mit dem beobachteten Objekt ist, folglich also immer nur eine subjektive Betrachtung entfalten kann. Objektivität und Wahrheit sind daher keine Dimensionen, mit denen sich Wirklichkeit sinnvoll erfassen lässt.  Und so kommen wir sehr schnell zu der Erkenntnis, dass nur in der Erweiterung der Perspektiven ein Schlüssel zum Auflösen konfliktärer Sichtweisen ist.

Ein weiterer erkenntnistheoretischer Irrtum liegt in unserem Verständnis von Kontrolle und Macht. Auch hier wird man bei Bateson fündig. Wenn wir anerkennen, dass monokausale und kausalistische Sichtweisen kein hilfreiches Abbild der Wirklichkeit schaffen, dann muss auch die Idee der Kontrolle auf den Prüfstand. „Verbundenheit mit dem Umfeld und Wechselwirkungen anzuerkennen, schließen aus, davon auszugehen, gezielte Kontrolle ausüben zu können“, schreibt Nagel. Oder, um das vielleicht etwas anschaulicher zu formulieren: Kontrolle ist die Illusion, die Welle zu kontrollieren, auf der ich surfe. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff Macht. Bateson bezeichnet sie als einen Mythos, da jeder Machthaber im gleichen Maße wie er das Geschehen beeinflusst, gezwungen ist zu reagieren. Der Mythos der Macht lässt sich solange aufrechterhalten, wie alle anderen an ihm mitwirken.  Aber wenn Macht ein Mythos ist, dann ist der Zugang zur Konfliktlösung über den Weg der Macht auch eine Illusion.

Information entsteht durch Unterschiedsbildung, konstatiert Bateson. Der Kern eines Konfliktes besteht nun darin, dass zwischen den Beteiligten diese Unterschiede zu Erwartungsdifferenzen werden. Kommuniziert eine Partei ihre abweichende Erwartung, stößt dies bei der anderen Partei meist ebenso zu einer Erwartungsabweichung und so kann der Konflikt zu einer Eskalation führen, dem Muster einer positiven Rückkopplung in einem kybernetischen Kreislauf folgend. Bateson hat auch die Systemtheorie den deutschen Sozilogen Niklas Luhmann beeinflusst. Der beschreibt einen Konflikt als das Kommunizieren einer Erwartung und dem Zurückkommunizieren der Nichtakzeptanz der Erwartung.

Lina Nagel weist aber in Anlehnung an Arist von Schlippe darauf hin, dass allein diese Erwartungsdifferenzen auf der Inhaltsebene nicht notwendigerweise zu einem handfesten Konflikt führen müssen. Die Eskalationsdynamik eines Konfliktes kommt erst dann in Gang, wenn zusätzlich eine Störung auf der Beziehungsebene vorliegt. Wenn die Kommunikation zur Demoralisierung führt, werden bestehende und verbindende Werte mehr und mehr aufgegeben, so dass der Konflikt in eine Eskalationsspirale mündet, wie sie von dem Österreichischen Konfliktforscher Glasl beschrieben wurde. Insbesondere können Missverständnisse auf der Beziehungsebene diese Spirale befeuern.

Aus dieser Dynamik des Konflikts gibt es kein Entrinnen, wenn man seine zugrundeliegenden Muster nicht unterbricht.

Wie können Musterunterbrecher aussehen? Die Autorin wird auch hier bei Bateson fündig. Der hat den Begriff der Schismogenese geprägt, was trennende Verhaltensmuster bezeichnet. Diese können in einer Konkurrenz der Konfliktparteien bestehen oder in komplementären Mustern der Über- und Unterordnung. In Konflikten gilt es diese Muster zu überwinden zugunsten reziproken, also gegenseitig aufeinander bezogenen Verhaltens, so dass sich ein Fließgleichgewicht, eine sich immer wieder aufs Neue findende Balance einstellt.

Das kann aber nicht gelingen, solange die Konfliktparteien in der Dynamik der trennenden und sich gegenseitig verstärkenden Konfliktperspektiven gefangen sind. Dann gibt es wie oben schon beschrieben, kein Entrinnen aus der Eskalation.

Gelingt es den Beteiligten hingegen, diese Perzeption zu verlassen, z.B. über die Einnahme einer Metaperspektive auf den Konflikt, so können sich neue Einsichten eröffnen, eine Auflösung wird möglich. Es wird vor allem möglich, offen über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen,  also über das, worum es wirklich geht – und das im Konflikt hinter all den Zuschreibungen der jeweils anderen Seite verborgen bleibt. Ebenso wird es möglich, die Bedürfnisse des anderen, des Konfliktgegners wahrzunehmen.  Voraussetzung dazu, und das betont Nagel sehr treffend, ist die gegenseitige Wertschätzung und Empathie. Erst so können die Konfliktparteien gemeinsam eine Lösung ersinnen.

Lina Nagels Buch ist eine Entdeckungsreise in die Gedankenwelt von Gregory Bateson. Gregory Bateson hat nie eine Theorie des Konflikts verfasst. Nagel fällt der Verdinest zu, in kompakter Weise aus Batesons Werk die Elemente extrahiert und sinnvoll verknüpft zu haben, die die Grundlage für eine systemische Konflikttheorie bilden können. Wer sich professionell mit Konflikten befasst, als Berater, Therapeut oder Mediator, der findet über Nagels Buch schon bei Bateson die Wurzeln dessen, was bei Watzlawick, Glasl, Luhmann, Fritz Simon, Arist von Schlippe und anderen zu einem konflikttheoretischen Gewächs geworden ist. Lina Nagel hat es ausgegraben. Chapeau!

Lina Nagel (2021): Kybernetik, Kommunikation und Konflikt: Gregory Bateson und (s)eine kybernetische Konflikttheorie, Carl-Auer-Verlag, 130 S.

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