Work-Life-Balance: Arbeit oder Leben?

Hätten wir nur diese Alternative, würden wir uns zweifellos für das Leben  entscheiden. Aber diese Alternative stellt sich meist nicht, da Arbeit doch zu einem sinnstiftenden Bestandteil unseres Lebens geworden ist. Und genau deshalb ist Work-Life-Balance in die Kritik geraten. „Semantischer Unsinn“ schreibt der Coach Markus Mayer in managerSeminare. Andere sehen in der Stressvermeidung inzwischen weniger eine Frage von Balance sondern eine Haltungsfrage. Müssen wir unser Verständnis von Stress und Burnout neu justieren?

„Das Leben ist stets lebensgefährlich“, stellte Erich Kästner einst fest. Aber man muss es nicht darauf ankommen lassen. Die Zahl der stressbedingten Erkrankungen steigt alarmierend und es besteht kaum ein Zweifel daran, dass hier Handlungsbedarf besteht. Dabei steht derzeit aber das klassische Konzept von Work-Life-Balance zur Disposition. Es stelle Arbeit zu sehr als belastend und die übrigen Lebensbereiche zu sehr als Ausgleich dar, sagen die Kritiker.

Zu recht. Denn zum einen können auch familiäre Situationen Stress verursachen und zum anderen muss selbstbestimmte Arbeit kein Stressfaktor sein. Der Wirtschaftsjournalist Jochen Mai meint, man müsse seinen Job lieben und Spaß an der Arbeit haben. Work-Life-Balance? Unnötig. Aber ist Stress eine Frage der Haltung? Brauchen wir nur eine positive Einstellung zur Arbeit oder eine Arbeit, die uns eben diese positive Haltung ermöglicht?

Zweifellos ist Stress eine sehr subjektive Erfahrung. Was den Einen stresst, ist für den Anderen eine motivierende Herausforderung. Stress ist eine sehr individuelle Belastungsreaktion. Es sollte aber zu denken geben, dass es oft gerade diejenigen mit höchster Arbeitsmotivation sind, die in den Burnout rasen. So hat zum Beispiel SAP, ein Unternehmen mit sehr mitarbeiterfreundlichen Arbeitsbedingungen eine extrem hohe Burnout-Quote. Und Miriam Meckels Bestseller über ihren Burnout ist auch nicht gerade das Bekenntnis einer Frustrierten über ihren Job.

Wer für seinen Job brennt, kann auch ausbrennen. Ich habe daher Zweifel daran, dass problematische Haltungen oder ein angekratztes Selbstwertgefühl, wie Markus Mayer meint, am Anfang von Stress und Burnout stehen. Es geht vielmehr um Wahrnehmungen. Wer einen Burnout erlebt, hat meist Warnsignale übersehen, Leistungsgrenzen nicht erkannt. In unserer „verkopften“ Welt sind das körperliche Symptome wie Herzrasen, Verdauungsbeschwerden und Schlafstörungen, die gern übersehen oder heruntergespielt werden. Hier sind weniger Selbstbewusstsein oder eine positive Arbeitshaltung hilfreich, sondern eine gute Selbstwahrnehmung. Wer schlichtweg merkt, wann es genug ist und mit der Belastung dann konstruktiv umgehen kann, der kann Stress schnell abfangen und hält seinen dauerhaften Stresslevel gering. Niemand kann immer nur Höchstleistungen bringen. Das können nicht einmal Maschinen. Und insofern gewinnt Work-Life-Balance in der Tat eine neue Färbung. Es geht um Achtsamkeit sich selbst gegenüber und um die Einbettung von Arbeit in unser Leben – damit es ein bisschen weniger lebensgefährlich wird.

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Eine Antwort auf „Work-Life-Balance: Arbeit oder Leben?“

  1. „Verkopft“ trifft es auf den Punkt. Emotionen sind für Außenstehende nicht sichtbar. Das ist der eine Punkt. Der andere: Fleiß und Erfolg im Beruf werden heutzutage gesellschaftlich über das aufgebrachte Zeitkontingent als messbare Einheit definiert. Wer ausfällt, und das auch noch wegen „unsichtbaren“ Ereignissen wie Burn-Out, wird schnell an den Rand gedrängt. Begrifflichkeiten wie „Simulant“, „Einbildung“ und „hoffnungsloser Fall“ finden auf dieser Weise leider eine vollkommen neue Bedeutung.

    Das Leben ist zu kurz, um es sich auch noch schwer zu machen.

    “Mir ist noch niemand auf dem Sterbebett begegnet der sagte: Hätte ich doch bloß mehr gearbeitet…”

    Das Leben
    (Zitat aus http://www.rainer-jeschonek.de)

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