Authentizität und Charisma: Die alltägliche Trance

(Auszug aus CHANGE! Bewegung im Kopf. Ihr Gehirn wird so, wie Sie es benutzen. 256 Seiten,  BusinessVillage Verlag, Göttingen)

Kennen Sie das Gefühl, dass Sie von einem Redner wie gefesselt sind? Es erscheint Ihnen dann so, als nähme er Sie mit in eine andere Welt. Noch eben waren Sie im Hier und Jetzt und schon befinden Sie sich mit Ihren Gedanken wie auf einer Reise. Der Raum, in dem Sie sich befinden, verlässt Ihr Bewusstsein, und die Stimme, ja die Stimme des Redners entführt Sie irgendwohin. Das Bild fließt und hat Sie ganz eingenommen. Dies sind Zustände unwillkürlichen Erlebens, all das sind nichts anderes als ganz gewöhnliche Alltagstrancen.

Fesselnde Redner sind deshalb so fesselnd, weil ihre Geschichten in uns innere Bilder erzeugen. Sie durchbrechen die Großhirnrinde und dringen zu den tiefer liegenden emotionalen Zentren unseres Gehirns vor. Wenn Sie also Menschen bewegen wollen, dann berühren Sie sie. Womit? Mit Anekdoten, Geschichten, Märchen, auch Witzen und Metaphern, kurzum mit allem, was bildhaftes Erleben ermöglicht. Aber Vorsicht: Nur, wenn Sie sich selbst davon berühren lassen, besteht eine Chance, dass der Funke auch zu Ihren Zuhörern überspringt.

»Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen und Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer«, sagte der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry. Genau darin liegt die Kraft der Inspiration. Darin liegt auch eine entscheidende kommunikative Stärke von guten Führungskräften.

Authentizität und Charisma

Wann erscheinen Ihnen Menschen authentisch? Immer dann, wenn die Botschaften eindeutig sind. Wer mit Nachdruck in der Stimme spricht, aber dabei nervös mit den Fingern spielt, wirkt wenig überzeugend. Wenn aber Inhalt, Stimme, Gestik und Mimik des Sprechers die gleiche Botschaft aussenden, dann ist jemand wirklich authentisch und man nimmt ihm die Botschaft ab. Wann haben Menschen Charisma? Wenn Sie zum einen authentisch sind und es zum anderen schaffen, Menschen innerlich zu bewegen. Und was bewegt Menschen am besten? Na, das, was ihre Bedürfnisse am besten anspricht. Wie wir schon im ersten Teil des Buches gesehen haben, geht es dabei um vier Grundbedürfnisse.

Charismatische Menschen geben anderen das Gefühl, verbunden zu sein, dazuzugehören (Bindung herstellen). Sie vermitteln Menschen ein begreifbares Bild von Welt, erzeugen Aha-Erlebnisse (Orientierung geben). Sie wertschätzen Menschen und zeigen Ihnen, dass Sie über sich hinauswachsen können (Selbstwert stärken). Sie erzeugen in Menschen die Lust auf Neues, auf Veränderung (Neugier wecken).

Als Führungskraft sollten Sie diese Grundbedürfnisse beachten, wenn Sie Menschen bewegen wollen. Erinnern Sie sich an die legendäre Rede von Martin Luther King »I have a dream« und die kolossale Wirkung, die sie entfacht hat? Mir läuft es heute noch kalt den Rücken hinunter, wenn ich nur daran denke. Was hat Dr. King gemacht? Er hat Menschen von einem Traum berichtet, dem Traum einer besseren Welt, in der Menschen verbunden sind, in der Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit herrschen, in der Leid durch Freude ersetzt wird, in der Menschen, gleich welcher Couleur, sich frei entwickeln können. Er hat damit Menschen berührt und bewegt, weil er all das, was Menschen bewegen kann, in einem einzigen Traum gezeichnet hat. Ein Traum, der zu schön war, um nicht eine unaufhaltbare Welle der Bewegung auszulösen. Keine zwei Monate später unterzeichnete der amerikanische Kongress ein Gesetz, das Schwarzen die vollen Bürgerrechte zusicherte.

Im Rampenlicht stehen

Wer führen will, muss sich auch präsentieren können. Ich sage bewusst, sich präsentieren und nicht nur präsentieren, denn wenn Sie gut rüberkommen wollen, dann müssen Sie als Person überzeugen und nicht allein durch den Inhalt Ihres Vortrags. Eine gute Präsentation ist also mehr als schicke PowerPoint-Folien. Visualisierung ist gut, aber das allein reicht nicht. Wenn Sie es schaffen, mit Sprache zu visualisieren, Bilder zu malen, dann kann das sogar wirkungsvoller sein als ein bebilderter Vortrag.

Wichtige Elemente einer exzellenten Präsentation sind aus meiner Sicht folgende:

Ziele setzen: Was wollen Sie erreichen? Wollen Sie informieren, überzeugen, irritieren, begeistern, die Leute zum Lachen oder zum Weinen bringen? Egal was, Sie sollten sich darüber vorab im Klaren sein.

Wohlfühlfaktor beachten: Sie sollten sich in Ihrer Rolle gut fühlen. Genießen Sie das Bad in der Menge (whooo, ich höre schon das Geraune). Ein bisschen Lampenfieber gehört dazu, aber das sollte Sie nicht lähmen. Angst nimmt Ihnen Bewegungsraum. Denken Sie daran: Sie sind der Experte, Sie sind die Autorität.

Kontakt aufnehmen: Für wen halten Sie eine Präsentation? Für Ihre Zuhörer? Sicher? Na gut, dann sprechen Sie diese doch einfach an. Blicken Sie ins Auditorium und haben Sie auch keine Hemmungen, einzelne Zuhörer direkt anzuschauen. Nur so können Sie Rapport aufbauen (fixieren Sie aber nicht nur die attraktive Dame oder den attraktiven Herrn in der ersten Reihe).

Ohrenöffner platzieren: Bieten Sie am besten etwas, was die Leute nicht erwarten. Einen Cartoon, eine (gute) Anekdote, irgendetwas, was die Leute aufmerken lässt.

Story-Telling: Erzählen Sie eine Geschichte. Wenn die gut ist, können Sie sicher sein, dass mindestens die Story hängenbleibt. Die können Sie auch als Ohrenöffner einsetzen.

»Weiß-ich-schon«-Effekt ausnutzen: Holen Sie die Leute dort ab, wo sie stehen. Und vor allem: Knüpfen Sie dort mit Neuem an. Das ist der neuronal effektivste Weg, Wissen zu vermitteln. Mit komplett Unbekanntem kann unser Gehirn nichts anfangen und schaltet ab.

Einfache Sprache: Sprechen Sie einfach, aber nicht belanglos. Von Karl Popper stammt der Satz: »Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.«

Sprechen Sie in Bildern: Bildhafte Sprache erreicht Menschen besser als abstrakte Sachverhalte. Sie können sagen: »Wir wollen innovativer werden.« Oder Sie können sagen. »Wir wollen das Tor aufmachen für innovative Köpfe und Ideen.« Worunter können Sie sich mehr vorstellen?

Schon klar, dass all das nicht auf Knopfdruck geht. Auch hier gilt: Beginnen Sie mit einem Trampelpfad und machen Sie eine Autobahn draus. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.

»Und plötzlich hörten mir alle zu …«

Sie haben vielleicht bemerkt, dass es in diesem Kapitel gar nicht so sehr um die Kommunikationstricks geht, die einem in so manchem Rhetoriktraining immer noch vermittelt werden. Es kann nicht darum gehen, Menschen zu manipulieren, denn dafür haben die meisten ein feines Gespür. Manipulation ist keine Basis für eine nachhaltige Kooperation.

Die Zeiten haben sich geändert. In Gesellschaften, in denen noch der Nachhall archaischer Strukturen zu hören war, waren Führer Autoritäten qua Amt und Loyalität war das oberste Gebot. Ihr Wort galt. Man sagt, auf See herrschte noch bis ins 20. Jahrhundert folgende Hierarchie: Erst kam der Kapitän, dann Gott und dann die Mannschaft. Heute, in einem Umfeld schneller Veränderungen, müssen Führungskräfte auf der Klaviatur des Systems Unternehmen spielen können. Sie müssen verschiedene Akkorde beherrschen und auch die Tonart wechseln können.

Folgende kommunikative Kompetenzen sind dabei hilfreich:

Authentisch sein

Wer sind Sie? Und wie fühlen Sie sich in dieser Rolle? Welche Körperhaltung passt am besten zu diesem Gefühl? Wie ändert sich das Gefühl, wenn Sie Ihre Körperhaltung ändern? Vor allem: Welche Körperhaltung passt zu dem, was Sie sagen? Probieren Sie aus. Ob Sie authentisch sind, spürt Ihr Gesprächspartner. Spielen Sie daher keine Rolle, denn das können selbst Schauspieler nur bestimmte Zeit. Spätestens in der Garderobe oder in der Kneipe müssen Sie die Maske abnehmen.

Erst wahrnehmen, dann sprechen

Was sehe ich und höre ich? Wie nehme ich mein Gegenüber wahr? Was könnte seine Körpersprache bedeuten? Was sind seine Bedürfnisse und was sind meine Bedürfnisse? Erst wenn Sie bewusst wahrnehmen, können Sie stark kommunizieren. Verzichten Sie darauf, Ihr Gegenüber wirklich wahrzunehmen, bleibt Ihre Kommunikation eine Einbahnstraße. Sie senden, nehmen aber die Signale nicht wahr, die zurückkommen, und so landen Sie schnell im Abseits. Dummerweise ermutigt diese Funkstille einige Sender, auf Dauersendung zu gehen. Sie nehmen dann nur noch sich selbst wahr und landen in einer fatalen Feedbackschleife. Sie überzeugen sich selbst am meisten. »Ich war toll« – nur gemerkt hat es keiner. Demgegenüber ist aktives Zuhören eine Technik, um solche Muster zu durchbrechen.

Rapport aufbauen

Nehmen Sie Kontakt mit Ihrem Gegenüber auf. Miteinander zu sprechen bedeutet nicht unbedingt, dass Sie in Kontakt sind. Rapport bedeutet, dass Sie mit Ihrem Gesprächspartner im gleichen Takt schwingen, dass die Chemie stimmt. Neuronal gesprochen: Aktivieren Sie die Spiegelneuronen, die Empathiezellen im Gehirn. Erst wenn Sie in Kontakt sind, ist sichergestellt, dass Kommunikation wirklich optimal funktioniert, denn Rapport integriert alle Ebenen, auch die der körperlichen Wahrnehmung (somatische Marker). So können Sie eher sicherstellen, dass Sie den anderen wirklich verstehen.

Werte und Haltungen beachten

Verhalten folgt auf Haltung. Wenn Sie nicht wissen, was für den anderen wichtig ist, werden Sie ein Problem haben, ihn ins Boot zu holen. Wenn Sie nicht wissen, was für Sie selbst wichtig ist, droht Ihr Boot schon bei einer kleinen Welle zu kentern. Auf der anderen Seite können Glaubenssätze wie »Das schaffen wir doch nie« ein Gespräch behindern. Sprechen Sie das entweder offen an oder lösen Sie es mit einer humorvollen Bemerkung auf (»Ich glaube auch, dass wir keine Chance haben. Aber wir sollten sie nutzen!«).

Den Rahmen wechseln (Reframing)

Diese Technik beherrschen gute Kommunikatoren mit Bravour. Achten Sie mal in Talkshows auf Sätze mit Einleitungen wie »Folgende Frage müssen wir uns doch stellen …«, »Ihre Perspektive ist völlig falsch …« oder »Kommen wir doch mal zum Kern des Problems …«. Dies sind alles Versuche, den aktuellen Betrachtungsrahmen durch den eigenen zu ersetzen. Das ist wenig konstruktiv, wenn es mit dem Ziel geschieht, den eigenen Rahmen als den einzig richtigen zu definieren. Aber Reframings sind ein sehr probates Mittel, wenn es darum geht, aus einem problem talk einen solution talk zu machen. »Wir sollten uns noch mal damit beschäftigen, wer jetzt genau für das Problem verantwortlich ist« wäre ein problemorientierter Rahmen. Das Reframing könnte heißen: »Lassen Sie uns lieber mal schauen, wer für die Lösung des Problems die geeignete Person wäre.« Hier wird der Kontext geändert und damit wechselt auch der Fokus, neue Optionen tun sich auf. Auch der Bedeutungsrahmen lässt sich wechseln. Aus »Die Schließung von Abteilung X bedeutet den Verlust von fünfzig Arbeitsplätzen« könnte werden »Die Schließung der unrentablen Abteilung X bedeutet Sicherung von Arbeitsplätzen in den profitableren Abteilungen.« Gewerkschafter dürfen die Reihenfolge gern umdrehen.

Lösungsorientiert kommunizieren

»Wie schön, dass wir mal darüber gesprochen haben.« So oder ähnlich ist, ausgesprochen oder unausgesprochen, das Gefühl nach vielen Gesprächen und Meetings. Viel Rauch, aber der ist bald verflogen. Und was dann bleibt, ist nichts außer der Unklarheit darüber, wie es weitergehen soll. Darum sind Fragen wie: »Was ist das Ergebnis?«, »Wie soll es jetzt weitergehen?« oder »Wer macht nun was, und bis wann?« enorm wichtig. Erst dadurch erzeugen Sie einen Handlungsdruck und die Chance einer positiven Lernerfahrung, die für unsere Motivation wichtig ist. Wer Dinge so lange zerredet, bis mehr Rauch als klare Struktur erkennbar ist, bewirkt das Gegenteil. Aber Vorsicht bei Small Talk! Der kann nämlich eine wichtige Funktion haben, wenn es um Rapport geht. In vielen Kulturen geht es ohne Small Talk gar nicht. Er dient dem gegenseitigen Beschnuppern und der Frage, wie der andere tickt und ob man ihm vertrauen kann. Das Insistieren auf den sachlichen Inhalten gleich zu Beginn eines Meetings wird dann als grober Rapportbruch empfunden.

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