Selbstmanagement Das iMonster besiegen

 MaskeSonntagmorgen. Die Zugfahrt nach Frankfurt dauert noch ein paar Stunden. Ich lese gerade einen Beitrag von Christian Schüle in der ZEIT über Selbstfindung: „Wie bin ich wirklich?“ Es geht um Glück, Erfolg, den Zwang zur  Individualität. Den Beitrag selbst und meine Gedanken dazu möchte ich gern mit Ihnen teilen.

Immer wieder mal bekomme ich Anfragen zum Karrierecoaching. Im Vorgespräch entfalten die Klienten dann oft ihre Erwartung, ein maßgeschneidertes Karrierekonzept für sich zu entwerfen. Spätestens bei meiner Frage „wozu?“ kommen meine Klienten dann aber ins Straucheln. Karriere, Erfolg und Glück werden als einstellbare Variablen gesehen. Vor allem aber erscheinen sie als Selbstzweck. Klar, alles ist machbar, auch eben Karriere, Erfolg und Glück. Denn es gibt sie ja, die Erfolgreichen und Glücklichen. Nur eben gibt es dafür kein Grundvokabular, das man lernen kann wie die Grundelemente einer Fremdsprache. Vor allem sind diese Größen kein Zustand, sondern immer ein Prozess. Wer seinen Erfolg festnageln will, wird scheitern. Wer sein Glück festhalten will, wird es verlieren.

Vor vielen Jahren traf ich in Neuseeland Daniel, einen Schweizer, der bereits mit dem Fahrrad von Alaska nach Feuerland gereist war. Der Tiefpunkt seiner Reise war die Erreichung seines Ziels. Das konnte es nicht gewesen sein, sagte ihm sein Gefühl. So beschloss er, mit dem Rad nach Europa zurückzufahren. Er hatte erfahren, dass das Ziel ohne den Wert des Reisens an sich bedeutungslos ist. Irgendwo in Indonesien verlor ich seine Spur. Kennt ihn jemand? Gern wüsste ich wie seine Reise weiter gegangen ist. Es kommt nicht so sehr auf das Ziel an, sondern auf das, was Menschen daran wichtig ist. Und daher stelle ich meinen Klienten immer die Frage des „wozu?“. Und immer wieder erlebe ich, wie schwer sich viele  Menschen damit tun, diese Frage zu beantworten.

Christian Schüle beschreibt in seinem Beitrag in der ZEIT das Phänomen der Maske. Einzigartige Erscheinung wird von vielen mit Authentizität verwechselt. Kein Zweifel. Karl Marx hat sich kolossal geirrt. Nicht das Sein, sondern der Anschein bestimmt das Bewusstsein. Lebensläufe werden getuned, Karrieren erfunden. Das Ich wird zur Marke, herausragende Individualität zum Zwang. Die Folge: Menschen wollen so sein, wie sie eigentlich nicht sein wollen. Selbstunsicherheit, das heißt die Unsicherheit über mich selbst, wird mit einer Fassade an modischen Attributen übertüncht, vermeintlich adäquates Verhalten antrainiert. Und ich sage das jetzt mal etwas provokativ: Was meines Erachtens dabei herauskommt, ist nicht authentische Individualität, sondern eher ein iMonster. Vielleicht irgendwie trendig, aber nicht wirklich echt. Und der Coach wird zum Mental-Stylisten. Gruselig.

Glück und Erfolg, darüber habe ich nun schon mehrfach geschrieben, stellen sich nicht ein, wenn Sie bestimmten Rezepten folgen, sondern wenn Sie Dinge tun, die Ihnen und anderen Sinn vermitteln, die auf Resonanz stoßen, die Ihnen Lernerfahrungen ermöglichen und an denen Sie wachsen. Dazu gehört auch das Rech auf Scheitern, wie das Maja Storch einer Abiturientin so nett gesagt hat. Gewiss, das ist eine Provokation in einer auf Erfolg getrimmten Gesellschaft. Mir scheint aber, dass das Lernen, mit Fehlern und Misserfolgen umzugehen, wesentlich hilfreicher für Menschen ist, als das Einstudieren vermeintlicher Erfolgsrezepte. Steve Jobs berichtete einmal, dass sein Rausschmiss bei Apple und die Monate der Orientierung danach zu den wertvollsten Abschnitten seines Lebens gehörten. „Stay hungry, stay wild“, war sein Ratschlag an die heranwachsende Generation.

Es gibt keine sicheren Entscheidungen, sonst wäre es keine Entscheidungen. Dem, der sich festlegt, droht immer der Hammer der Niederlage – oder eben das Glück des Gelingens. Je mehr Sie sich trauen, dieses Abenteuer zu riskieren, um sehr mehr entwickeln Sie ein Gespür für den richtigen Weg. Nichts ist wertvoller als reichhaltige Erfahrungen. Für komplexe Systeme gibt es keine einfache Bedienungsanleitung, auch keine komplizierte, sondern eine, die sich ständig ändert.  Coaching ist hier gewissermaßen die Reisebegleitung. Gute Coaches sind keine Selbstoptimierer oder Maskenbildner. Sie können nicht zaubern. Aber sie können Sie in andere Situationen, Wahrnehmungspositionen „beamen“, Ihren Blick erweitern, Ordnung in das Gestrüpp bringen und Ihnen helfen, den Weg hindurch zu finden. Selbstfindung ist dabei kein Ergebnis tiefer Selbstreflexion, sondern bleibt ein ewiger Prozess des Ausprobierens, des Scheiterns, des Gelingens, des über sich selbst Hinauswachsens.

Beitrag von Christian Schüle in der ZEIT

 

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