Manchmal liegen Ordnung und Chaos nah beieinander. Insbesondere dann, wenn Antworten auf Herausforderungen nicht so einfach sind, wie wir sie gerne hätten. Gute Zeiten für die Vereinfacher dieser Welt, die wieder Schwarz-Weiß-Bilder zeichnen und Schuldige suchen. Wenig hilfreich. Benötigt wird etwas anderes.
Donald Trump wird wieder zum Präsidenten gewählt und keine 24 Stunden später ist in Deutschland die Ampel aus. Knall auf Fall. Beides steht nun auf den ersten Blick nicht im Zusammenhang und dennoch sind es Symptome eines Phänomens, das sich auf beiden Seiten des Atlantiks immer mehr bemerkbar macht.
Die Welt des 20. Jahrhunderts ist Vergangenheit. Globalisierung und Digitalisierung haben in den letzten Jahrzehnten die Welt massiv verändert. Sie ist komplizierte geworden und hat die Lebenswelten vieler Menschen durcheinandergebracht. Insbesondere in den alten Industriestaaten funktionieren die tradierten Geschäftsmodelle immer weniger. Die Arbeitswelt verändert sich, Jobs sind in Gefahr, Menschen fürchten um ihre Zukunft. Dazu kommen Pandemie, Ukrainekrieg und Klimakrise sowie die Globalisierungsfolge Migration als Konfliktverstärker.
Diese Melange an Krisen erzeugt bei Menschen Ängste. Sie sehnen sich nach Orientierung und Kontrolle, ein menschliches Grundbedürfnis, wie es der Psychologe Klaus Grawe beschrieben hat. Dort, wo berufliche Karrieren auf dem Spiel stehen, ist zudem noch das Bedürfnis nach Selbstwertschutz in Gefahr. Gar nicht gut.
Wir brauchen Antworten, aber keine, die die Komplexität leugnen, sondern solche, die dieser zunehmend komplizierter werdenden Welt gerecht werden. Wir brauchen Antworten, die Menschen helfen, in der stürmischen VUCA-Welt besser zu navigieren. Nicht mit dem Blick in die Vergangenheit („früher war alles besser“), sondern mit Blick in die Zukunft. Und wir brauchen Entscheidungen.
Das bedeutet auch: Wir brauchen jetzt keine ideologischen Machtkämpfe, sondern eine konstruktive Zusammenarbeit verantwortlich denkender Menschen, die die Probleme lösungs- und vor allem zukunftsorientiert anpacken. Und dazu braucht eine Akzeptanz der Vielfalt von vermeintlichen Wahrheiten und keine Zementierung eigener Glaubenssätze und Interessen.
Volker Wissing, noch-Verkehrsminister in der Bundesregierung, hat dazu vor kurzem der Zeit ein denkwürdiges Interview gegeben. Er sagte zum Aus der Ampel: „Ich bin überzeugt, dass wir als Demokraten die Aufgabe haben, Kompromisse zu erarbeiten, Brücken zueinander zu bauen. An diesem Abend war davon nichts zu spüren, das hatte für mich etwas Destruktives und hat mich sehr enttäuscht. Unsere Demokratie ist an diesem Abend ärmer geworden. Das war kein demokratisches Heldentum.“
Über Entscheidungen: „Es ist nicht klug, Dinge, die man gemeinsam auf den Weg gebracht hat, hinterher zu relativieren, sie schlechtzureden und dann auf die eigene Position zurückzufallen – das ist aber permanent passiert. Wer andauernd Kompromisse aufkündigt, zerstört den Respekt vor der Meinung der anderen.“
Zur Frage, wie man mit unterschiedlichen politischen Strömungen umgehen sollte: „Wir können natürlich auf Konfrontation in der Gesellschaft gehen und uns gegenseitig vorhalten, wie falsch der jeweils andere liegt. Aber am Ende müssen wir Brücken bauen, wenn die Gesellschaft zusammenhalten soll.“
Zum Menschenbild: „Andere Menschen korrigieren zu wollen, weil man sie wegen ihrer Lebensgewohnheiten, ihrer Sehnsüchte für imperfekt hält, ist für mich eine Grenzüberschreitung. Nächstenliebe heißt, in Demut anzuerkennen, dass der andere in seiner Andersartigkeit genauso gut ist, wie man es für sich selbst beansprucht. Diese christlichen Gedanken finden sich aber auch in unserem Grundgesetz, im bedingungslosen Schutz der Menschenwürde. Toleranz ist der Schlüssel zur Freiheit des Einzelnen in einer Gemeinschaft.“
Wissing trifft hier die Grundgedanken des offenen und ergebnisorientierten Diskurses sehr gut auf den Punkt. Es braucht immer den Willen des gemeinsamen Gestaltens trotz unterschiedlicher Positionen. Entweder durch Mehrheiten, aber besser noch durch Konsens oder Kompromiss. Nur so kommt man zu guten Entscheidungen.
Dazu braucht es ein gemeinsames Leitbild, ein Big Picture. Offenbar ist das der Ampel verloren gegangen.
Noch schlimmer war aus meiner Sicht die immer wieder nach außen gezeigte Unfähigkeit, zu tragfähigen Entscheidungen zu kommen. Was ist noch schlechter als falsche Entscheidungen? Antwort: Gar keine Entscheidungen! Jede Organisation lebt von Entscheidungen. Das ist Voraussetzung für Ihr Funktionieren und Ihre Entwicklung. Es ist mindestens fahrlässig, Eigeninteressen ein höheres Gewicht einzuräumen als der Staatsräson. Das ist nämlich die schlechteste Antwort auf eine Krise und die daraus entstandene Irritation der Menschen.
Dass in Krisen Entscheidungen schwierig sind, liegt im Wesen einer Krise. Sonst wäre es keine. Zögerlichkeit, Entscheidungswirrwarr und ein Verstricken im Klein-Klein sind nun wahrlich keine Tugenden guter Krisenmanager.
Was es viel mehr braucht, sind handelnde Führungskräfte, die nicht trivialisieren und eskalieren, sondern gerade in kontroversen Fragen mit einer mediativen Grundhaltung zuhören, verstehen, konstruktiv kooperieren und Entscheidungen treffen. Damit die Zeiten wieder gut werden.
Link zum Interview in der ZEIT: https://www.zeit.de/2024/48/volker-wissing-fdp-ampel-aus-neuwahlen-christian-lindner (nicht barrierefrei)