Führung: Motivation geht gar nicht. Oder doch?

Immer wieder wird mir in Führungskräfte-Workshops die Frage gestellt, wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter am besten motivieren können. Meine Standardantwort darauf lautet: „Gar nicht“. Frustrierend, nicht wahr? Nun, ich ergänze das dann nach einer gewissen Pause gern mit einem „Aber, …“.

Denn Motivation ist möglich, aber nicht als einfacher, mechanischer Impuls, wie viele immer noch glauben.  Ich habe mich in meinem Blog schon mehrfach mit diesem Thema beschäftigt.  Ein sehr interessanter Erklärungsansatz, wie Motivation funktionieren kann, ist mir gerade vom Kollegen Christoph Schlachte wieder ins Gedächtnis gerufen worden: Die PSI-Theorie von Julius Kuhl.

Auf Julius Kuhl bin ich zum ersten Mal bei einem Vortrag von Maja Storch 2009 in Heidelberg aufmerksam geworden. Julius Kuhl war bis 2015  Psychologieprofessor an der Universität Osnabrück und ist Entwickler einer der wahrscheinlich fundiertesten Persönlichkeitstheorien unserer Zeit. Sie entstand als Integration von Ansätzen verschiedener psychologischer Schulen, der Neurobiologie sowie der Systemtheorie und befasst sich vor allem mit der Interaktion zwischen verschiedenen Elementen unserer Persönlichkeit. Diese Elemente sind folgende:

Bewusste Selbstkontrolle:

  • Intentionsgedächtnis (IG): Zuständig für die bewusste Repräsentation und Aufrechterhaltung von Absichten. Es ist insbesondere dann wichtig, wenn wir nicht sofort einem Handlungsimpuls folgen, sondern uns planerisch der Erreichung eines Ziels nähern. Essentiell für Projektmanager!  Lokalisiert werden kann das IG vor allem in linken präfrontalen Cortex unseres Gehirns. Kuhl bezeichnet diese Instanz auch als das ICH.
  • Objekterkennungssystem (OES): Zuständig für die Wahrnehmung von Einzelheiten, insbesondere Besonderheiten und neuen Erfahrungen. Es ist sozusagen unsere Sensorik für Details und vor allem für Gefahren und daher eine Art Alarmsystem in unserem Gehirn. Es löst allerdings Details aus dem Zusammenhang und ist daher bei Überaktivität eher wenig hilfreich für Lösungen komplizierter oder gar komplexer Probleme. Es ist aber unerlässlich als Datenquelle für das Extensionsgedächtnis (s.u.).

Implizite Selbstregulation:

  • Extensionsgedächtnis (EG): Unser erweitertes Gedächtnis, die Sphäre des intelligenten, fühlenden Unbewussten. Es ist quasi zugleich Gegenspieler und Kooperationspartner des Objekterkennungssystems. Das EG ist ein ganzheitlicher Erfahrungsspeicher, gewissermaßen das Integral unserer  Lebenserfahrungen, vor allem solcher, zu denen wir keinen bewussten Zugang mehr haben, aber zu dem wir über unsere Gefühle Zugang bekommen können. Kuhl bezeichnet diesem Teil auch als das SELBST. Aus Beratersicht liegt hier ein großer Fundus an Ressourcen, mit dem sich gerade in schwierigen Situationen arbeiten lässt. Gerade wenn wir an positiven Erfahrungen ankoppeln können, berühren wir die motivationale Ebene von Menschen.
  • Intuitive Verhaltenssteuerung (IVS): Das ist, vereinfacht formuliert, unser Bauchgefühl, aus dem heraus wir spontan auf Situationen reagieren, ohne viel darüber nachzudenken. Dieser Teil der Persönlichkeit wird in der rechten, hinteren Hemisphäre des Gehirns verortet, die auch für unsere räumliche Orientierung zuständig ist. Die IVS ist dafür verantwortlich, ob wir gefasste Pläne auch tatsächlich umsetzen, oder anders formuliert: Wenn die Koppelung von IG und IVS nicht funktioniert, bleiben wir „auf unseren Absichten sitzen“, wie Kuhl es formuliert.

Für mich als Coach werden hier gleich mehrere Aspekte berührt, die mich in meiner Arbeit akut betreffen. Meine Grundfrage ist immer, wie ich Menschen optimal in Veränderungsprozessen unterstützen kann. Lösungsorientierung ist ein Schlüsselwort im Coaching. Die Idee, das über Beratung, Aufklärung, Ratschläge oder einen lösungsfokussierten Dialog zu erreichen, ist natürlich verlockend, funktioniert aber oft nicht, da es nur auf die bewusste Selbstkontrolle fokussiert. Liegt die Ursache eines Problems aber eher im Bereich der impliziten Selbstregulation, also im weitgehend unbewussten Bereich, werde ich meinen Fokus eben auch auf her unbewusste Prozesse legen. Hier bietet aber das NLP und die systemische Strukturaufstellung ein weites Feld an Methoden.

Ein weiterer Aspekt ist die Aktivierung von Ressourcen und auch die liegen meist nicht primär im Bereich der bewussten Selbstkontrolle. Sie stärksten Ressourcen sind solche, die emotional positiv wahrgenommen werden. Kompetenz kann z.B. eine klasse Ressource sein – wenn Sie auch emotional kongruent ist. Wer weiß, dass er gut ist, es aber nicht fühlen kann, wird kaum einen Zugang dazu haben. Es geht also auch und vor allem um die Aktivierung von Gefühlen.

Kuhl schreibt z.B. dem weit verbreiteten SMART-Modell nur eine begrenzte Wirksamkeit zu, weil es eben vorwiegend den kognitiven Bereich berührt, während motivationale Aspekte, die zum großen Teil im Bereich der intuitiven Verhaltensteuerung (z.B. „Hey, das finde ich total spannend“) oder des Extensionsgedächtnisses (z.B. „Hm, da glaub ich einfach nicht, dass das funktionieren kann“) liegen. Aber schauen Sie doch mal selbst, was Julius Kuhl im Interview bei Komunariko zum Thema Motivation und Führung sagt:

Literatur

 

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