Rechtsprechung: Sind Coaches Lehrer?

Coach und Rentenversicherung - mind stepsCoaching ist eine Beratungsform, die Menschen darin unterstützen soll, vor allem berufliche Herausforderungen besser zu meistern. Ein Coach ist so etwas wie ein Geburtshelfer für Lösungen. Er bietet dabei Beratung ohne Ratschlag und hilft seinen Klienten, Lösungen zu finden. Aber ein Coach ist ganz sicher kein Lehrer. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) sieht das anders. Bis vor kurzem.

Ich bin seit 2008 selbständig als Coach und ich bin privat rentenversichert. Die Deutsche Rentenversicherung schickte mir 2011 einen Fragebogen zur Klärung meines Versicherungsstatus. Den sandte ich ausgefüllt zurück und gab als Tätigkeit „Coach und Berater“ sowie „selbständig“ an. Meine Tätigkeit beschrieb ich als „Unterstützung von Menschen in Veränderungsprozessen, vorwiegend im beruflichen Umfeld durch lösungsorientierte Gespräche sowie durch individuelle Beratung“. Das reichte der DRV schließlich, um mir mitzuteilen, dass ich eine Lehrtätigkeit ausübe und damit gesetzlich rentenversicherungspflichtig sei. Ich bekam einen entsprechenden Bescheid, verbunden mit der Forderung auf Nachzahlung meiner aufgelaufenen Rentenversicherungsbeiträge seit 2008.

Richtig ist, dass lt. §2 des SGB VI neben anderen Berufsgruppen freie Lehrer und Erzieher versicherungspflichtig sind. Falsch ist, dass Coaching eine Lehrtätigkeit darstellt. Demnach ist ein Coach auch kein Lehrer. Doch davon ließ sich die DRV so schnell nicht überzeugen.

Keine klare Abgrenzung zwischen Beratung und Lehre

Auf meinen Widerspruch argumentierte die DRV, das der Lehrbegriff weit auszulegen sei und jegliches Übermitteln von Wissen, Können und Fertigkeiten umfasse. Und weiter wörtlich: „Die angewandten Methoden zur Wissensvermittlung werden häufig mit den Begriffen Training, Coaching, Moderation oder Supervision umschrieben.“ Demgegenüber sei eine  „beratende Tätigkeit … regelmäßig darauf gerichtet, einem zu Beratenden konkrete Entscheidungshilfen an die Hand zu geben, damit dieser ein Entscheidungsdefizit unmittelbar auszufüllen vermag.“ Meine ausführlichen Darlegungen, dass Coaching selbst nach der Definition der DRV eine beratende Tätigkeit sei und ein Coach demnach kein Lehrer, wurden ignoriert. Als Antwort bekam ich aus Textbausteinen zusammengesetzte allgemeine Erklärungen zu Lehrtätigkeit und Beratung. Eine individuelle Prüfung meines Falles wurde versagt und dieses Verfahren später damit begründet, dass dies eine Massenverwaltung nicht leisten könne.

Daraufhin reichte ich über meine Anwältin Sabine Gewehr beim Sozialgericht Regensburg Klage gegen den Bescheid ein – und bekam Recht. Das Gericht urteilte u.a.: „Kennzeichnend für die Tätigkeit eines Beraters ist, dass dieser zur Lösung eines Problems zusätzliche Hilfen und Vorschläge auflistet, damit der Klient Entscheidungen treffen kann. Daher ist auch das Interesse des Beratenden nicht vorrangig auf den generellen Erwerb von Wissen und Fertigkeiten gerichtet, sondern darauf, eine Entscheidung vorzubereiten.“

Klärung durch das Bundessozialgericht

Die DRV legte gegen das Urteil Berufung beim Landessozialgericht ein und kündigte im weiteren Verlauf an, meinen Fall wegen seiner allgemeinen Bedeutung notfalls bis zum Bundessozialgericht  durchfechten zu wollen. Soweit kam es dann aber doch nicht, denn zwischenzeitlich hatte das BSG im Fall eines Ernährungsberaters eine sehr klare Abgrenzung von Beratung und Lehre vorgenommen. In seinem Urteil vom 23. April 2015 (Az. B 5 RE 23/14 R) stellt das BSG nämlich fest:

Hinsichtlich der Versicherungspflicht von Lehrern in der gesetzlichen Rentenversicherung ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt, dass Lehrer durch Erteilung von theoretischem oder praktischem Unterricht anderen Allgemeinbildung oder spezielle Kenntnisse, Fähigkeiten oder Fertigkeiten vermitteln gleich auf welchem Gebiet. … Dabei kann sozialversicherungs-rechtlich bereits jede Anleitung zu einem gemeinsamen Tun genügen … , selbst wenn sie keinerlei Gedächtnisspuren hinterlässt und das angeleitete gemeinsame Tun deshalb außerhalb des Unterrichts nicht reproduziert werden kann. … Die erstrebte “Gemeinsamkeit” entsteht dabei aus der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen des Lehrenden an einen Lernenden unabhängig von einem konkreten Anwendungsbezug. … Im Übrigen hängt der weite Versicherungspflichttatbestand nicht von einer bestimmten Geisteshaltung oder Weltanschauung ab … und enthält weder Vorgaben zu den Lehrinhalten und Lernzielen, zum Niveau … , zur Qualität, Methode und Form des Unterrichts (zB Ort, Zeit und Anzahl der Teilnehmer) noch zur Qualifikation des Lehrers oder zur Vorbildung seiner Schüler und erfordert keine Teilnahmepflicht oder Leistungskontrolle der Teilnehmer und kein Ausstellen von Zeugnissen oder Bescheinigungen.“

Ein Coach ist ein Berater!

Demgegenüber grenzt das Bundessozialgericht die Beratung ab: „Vor diesem Hintergrund bedarf auch die vorliegend in Frage stehende Beratungstätigkeit der Abgrenzung. Zwar basiert letztlich auch sie auf einer vorhandenen Wissens- und Kompetenzdifferenz. Anders als die Lehrtätigkeit, die wesentlich auf eine Wissensvermittlung für eine unbestimmte Vielzahl unbestimmter Anwendungssituationen geprägt ist, liegt ihr Schwerpunkt …  gerade auf der Eröffnung konkreter Handlungsmöglichkeiten zu einem bestimmten Anwendungszweck. … Wo sich die Bereiche der Lehr- und Beratertätigkeit überlagern, müssen sie nach ihrem sachlichen Schwerpunkt getrennt werden: Während Lehrer eher generelles Wissen vermitteln, das die Lernenden aufnehmen und rezipieren sollen, gehen Berater regelmäßig auf individuelle Probleme des jeweils Ratsuchenden konkret helfend ein.  … Dabei ist normalerweise unerheblich, ob die Beratenen den Lösungsweg und die Gründe für die Handlungsempfehlung im Einzelnen nachvollziehen können. Ein begleitender Wissenstransfer ist daher von eher untergeordneter Bedeutung, während er bei der Lehrertätigkeit im Fokus steht und gerade intendiert ist.“

Und, sehr interessant in Bezug auf den konkret zu bewertenden Fall des Ernährungsberaters führt das Gericht weiter aus: „Soweit der Kläger abstraktes Wissen über gesunde Ernährung vermittelte (zB über geeignete/ungeeignete Lebensmittel; Erkennen von Nahrungsbestandteilen und deren physiologischem Wert), geschah dies begleitend zu einem anwendungsbezogenen Zweck (Lösung individueller Ernährungsprobleme). … Auf der Hand liegendes Hauptmotiv der Klienten für die Teilnahme an der Beratung war damit weniger die Aussicht auf abstrakten Wissens- oder Erkenntnisgewinn, zumal sie oftmals bereits umfassendes Wissen über gesunde Ernährung erworben hatten, sondern in erster Linie die Aussicht auf eine erfolgreiche und gelingende Lösung der jeweiligen eigenen Ernährungsprobleme. Damit übte der Kläger keine versicherungspflichtige und nach der Wertung des Gesetzes allein typisierend soziale Schutz-bedürftigkeit begründende Lehrtätigkeit aus.“

Folgen für Coaches und Trainer

Was heißt das nun für Coaches, Mediatoren, Supervisoren – und Trainer? Für den Coach ergibt sich aus meiner Sicht sinngemäß das gleiche wie für den oben genannten Fall des Ernährungsberaters. Coaching ist eine beratende Tätigkeit. Das scheint auch die DRV inzwischen so zu sehen, denn aufgrund des zitierten Urteils zog die DRV ihre Berufung in meinem Fall zurück. Damit bin ich als Coach nicht versicherungspflichtig.  Auch Supervision und Mediation sind eindeutig beratende Tätigkeiten. Hier steht Beratung im Vordergrund, keine Wissensvermittlung.

Es stellt sich aber die Frage, wie sich die Tätigkeit eines Trainers bei der Arbeit in Workshops und Seminaren sozialversicherungsrechtlich einordnen lässt.  Es kommt dabei nicht darauf an, welchen Titel sich jemand anhängt, sondern was er oder sie konkret tut. Ein Fitnesscoach, der auf Vorträgern und Seminaren vorwiegend allgemeines Wissen über Fitness verbreitet, ist kein Coach sondern ein Dozent und damit sozialversicherungsrechtlich ein freier Lehrer. Auch im Fall eines Aerobictrainers hat das BSG eindeutig auf lehrende Tätigkeit entscheiden.

Mein Tipp: Trainer sollten prüfen, ob bei ihrer Tätigkeit die Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Vordergrund steht oder die individuelle Lösung eines Problems den Fokus bildet. Kollegiale Beratung ist nach meiner Lesart eine Beratungstätigkeit. Hier wirkt die Gruppe als Beraterteam, moderiert durch den Trainer/ Coach/ Supervisor. Auch Teamentwicklung und Teamcoaching sind beratende Tätigkeiten, sofern ihr Schwerpunkt auf der lösungsorientierten Bearbeitung eines Problems oder Konfliktes liegt und nicht in der allgemeinen Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten über Teamentwicklung und Teamcoaching. Allerdings wären Seminare, die vorwiegend der Vermittlung von Wissen dienen und keinen ganz konkreten Anwendungsbezug haben, als Lehre einzustufen.

Oft sind Gruppenformate allerdings Mischformen. Erst erfolgt z.B. Input durch den Trainer, dann wenden die Teilnehmer diese Informationen ganz konkret auf ihre individuellen Aufgaben und Probleme an. Steht hier die Fallberatung im Vordergrund und das vermittelte Wissen dient eher als Hilfestellung zur Fallarbeit, wäre es eine beratende Tätigkeit. Besteht die individuelle Arbeit aber vorwiegend im Einüben bestimmter Fertigkeiten, so handelt es sich um Lehre. So jedenfalls verstehe ich die Rechtsprechung.

Wer sicher gehen will, kann seinen Status bei der Deutschen Rentenversicherung klären lassen. Empfehlenswert aus meiner Erfahrung ist die Einschaltung eines Fachanwalts. Näheres auch unter http://www.openpr.de/news/869205/Rentenversicherung-fuer-Lehrende-BSG-Entscheidung-gibt-Hoffnung-auf-Ende-der-Versicherungspflicht.html.

Und noch ein Tipp: Die Beschäftigung eines sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiters  entbindet auch selbständige Lehrer und Dozenten von der Versicherungspflicht. Einen Coach sowieso.

 

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2 Antworten auf „Rechtsprechung: Sind Coaches Lehrer?“

  1. Lieber Herr Sander,

    vielen Dank für diesen ausführlichen Artikel. Ich arbeite als Supervisor/Coach und als Trainer und habe schon viele Sichtweisen zum Thema Rentenversicherung gehört. Ich bin bisher noch nicht den Weg über die Gerichte gegangen, Ihr Artikel gibt mir aber eine gute Grundlage für die nächsten Gespräche mit der Rentenversicherung an die Hand. Danke dafür! Viele Grüße, Stefan Mantel

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