Wertschätzung: Seid nett zueinander, oder was?

KommunikationWenn ich in meinen Workshops von Wertschätzung spreche, herrscht anfangs bei Menschen immer wieder Irritation darüber, was unter dem Begriff Wertschätzung zu verstehen ist. Manche assoziieren damit Freundlichkeit, andere Empathie. Hier mein Versuch einer Erklärung und Abgrenzung.

„Ich verstehe das nicht: Immer bemühe ich mich, freundlich mit meinen Mitarbeitern zu reden, aber die fühlen sich dennoch nicht wertgeschätzt“, sagte mir unlängst ein Coachee. Gewiss Freundlichkeit kann Wertschätzung ausdrücken, muss es aber nicht. Man kann auch vordergründig freundlich sein, Menschen aber dennoch gleichgültig begegnen. Freundlichkeit im Ton drückt nicht unbedingt Wertschätzung aus. Wer freundlich Anweisungen gibt, aber ansonsten seinen Mitarbeitern wenig zugewandt ist, wird von ihnen meist nicht als wertschätzend wahrgenommen. Insbesondere ausgemachte Narzissten können oberflächlich freundlich sein, andere aber dennoch immer wieder abwerten. Bemühe ich mich, nur sachlich und freundlich zu sein, erreiche vielleicht die Ohren der Menschen, aber noch nicht ihre Herzen.

Vier Ohren

Wozu das wichtig ist? Kommunikation hat immer mehrere Ebenen. Das Modell der vier Ohren von Friedemann-Schulz von Thun ist vielen bekannt und ich habe es vor einigen Jahren hier im Blog auch schon einmal vorgestellt. Insbesondere die Beziehungsebene ist ein sensibler Bereich, denn die hat immer etwas mit unseren Grundbedürfnissen nach Bindung und Selbstwertschutz zu tun. Ist sie verletzt, hören wir oft die Nachricht auf der Sachebene gar nicht mehr. Es verwundert mich immer wieder, wenn Führungskräfte erstaunt feststellen, dass sie nicht gehört werden, obwohl sie sich doch vermeintlich klar und deutlich ausgedrückt haben. Sobald es an Wertschätzung fehlt, sinkt die Fähigkeit und Bereitschaft von Menschen, die Sachbotschaft zu wahrzunehmen, da die Verletzung ihres Selbstwerts die wesentlich dominantere Message ist. Genau darum ist wertschätzende Kommunikation so wichtig – und so wirkungsvoll.

Soft-Ball Tennis?

Ein weiteres Missverständnis, das mir oft begegnet, ist die irrige Annahme, wertschätzende Kommunikation sei so etwas wie Soft-Ball-Tennis. Bloß keine harten Bälle schlagen? Mitnichten. Denn wertschätzender Kommunikation muss es nicht an Klarheit mangeln. Wer klar und wertschätzend kommuniziert, hat beste Chancen, wirklich „störungsfrei“ zu kommunizieren. Wer als Führungskraft wertschätzend kommuniziert, kann dabei sehr wohl unangenehm sein, eben weil er Forderungen stellt und Entscheidungen trifft, die Anderen nicht gefallen. Führung ist letztlich immer verbindliche Kommunikation, die Wahlmöglichkeiten reduziert. Und das schmeckt nicht jedem. Der Ingenieur, der viel Zeit in eine Entwicklung gesteckt hat, die aber letztlich vom Chef verworfen wird, weil sie in der Produktion zu teuer würde, wird nicht erbaut sein über diese Entscheidung. Ein Chef aber, der den engagierten Einsatz dieses Ingenieurs entsprechend wertschätzt, kann vermeiden, dass sein Mitarbeiter frustriert hinschmeißt.

Was ist denn nun Wertschätzung?

Persönliche Wertschätzung richtet sich in meinem Verständnis nicht auf die Sache und nicht auf das Verhalten einer Person, sondern auf die Person selbst. Wenn wir jemanden wertschätzen, dann schätzen wir den Selbstwert eines Menschen – ohne Rücksicht auf dessen Verhalten. So kann ich das Tun einer Person scharf kritisieren („… ist für nicht völlig inakzeptabel.“) und dennoch die Person wertschätzen. Sicher, das ist nicht immer leicht und geradezu menschlich, dass wir das oft nicht trennen. Allein dadurch, dass wir in einer Kritik eher sagen „Du hast …“ anstatt „Du bist …“, erhöht die Chancen, dass dabei etwas Wertschätzendes herauskommt ganz enorm.

Nun zur Abgrenzung. Die ist inspiriert von Tatjana Lackner. Ich verwende aber etwas andere Kategorien.

Toleranz Ich dulde dein Verhalten, schätze es aber nicht.
Akzeptanz Ich bin mit deinem Verhalten einverstanden
Respekt Ich achte dich und deine Meinung/dein Verhalten.
Wertschätzung Ich schätze dich wert, ganz gleich wie du dich verhältst.
Empathie ich kann deine Gedanken und Empfindungen wahrnehmen

Wertschätzend kommunizieren heißt im Klartext:

  • Sei weich zur Person, aber hart in der Sache. Spekuliere nicht über die Persönlichkeit einer anderen Person, sondern fokussiere dich auf deren Verhalten. Wenn Du kritisierst, dann sprich zunächst darüber, was Du beobachtet hast.
  • Sprich Gefühle und Bedürfnisse an, wenn es erforderlich ist. Aber mache andere nicht für Deine Gefühle verantwortlich. Bliebe bei deinen Botschaften in der ich-Form. Sprich also besser über DEINE Gefühle und Bedürfnisse und klage nicht an.
  • Finde heraus, was andere bewegt. Wertschätzung bedeutet auch, die Gefühle und Bedürfnisse anderer wahrzunehmen und zu respektieren.
  • Formuliere Deine Wünsche und Erwartungen klar und deutlich. Erwarte aber nicht, dass dein Gegenüber deine Wünsche und Erwartungen immer erfüllt. Ein „nein“ ist nicht unbedingt ein Zeichen mangelnder Wertschätzung, sondern oft genug ein Zeichen, dass deine Wünsche und Erwartungen nicht mit den Wünschen und Erwartungen des anderen im Einklang sind. Umgekehrt ebenso. Auch wenn du “Nein” sagst, ist das nicht unbedingt ein Zeichen mangelnder Wertschätzung.
  • Strebe in Vereinbarungen immer ein Win-Win an. Es ist ein Irrtum, dass die Welt ein Nullsummenspiel ist. Die Idee, dass es nur einen Gewinner geben kann, beschränkt dich und andere bei dem Finden von Lösungen.

Und noch etwas: Vergiss bei der Wertschätzung nie die Wertschätzung für dich selbst. Nur wer ein positives Selbstwertgefühl hat, kann auch andere ehrlich wertschätzen. Fehlendes Selbstwertgefühl führt eher zur Anpassung an andere, denn zu deren Wertschätzung. Und dann bleibt allenfalls die Freundlichkeit.

Literatur:

Brüggemeier, Beate (2010): Wertschätzende Kommunikation im Business. Wer sich öffnet, kommt weiter! ; wie Sie die Gewaltfreie Kommunikation im Berufsalltag nutzen. Paderborn: Junfermann (Reihe Coaching & BeratungAngewandte GFK im Business). Online verfügbar unter http://d-nb.info/998317179/04.

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