Entscheidungen: Nicht grübeln – machen!

Es ist ein Verdienst der Aufklärung, dass Menschen bei Entscheidungen ihren Kopf benutzen und sich nicht auf Glaubenssätze verlassen. Folglich analysieren wir, planen wir und versuchen, die Zukunft zu prognostizieren, um besser entscheiden zu können. Es mehren sich aber die Zweifel, dass unsere Ratio immer der bessere Ratgeber ist.

Bevor im Jahre 2008 die Lehmann-Pleite eine ganze Kaskade von Abstürzen nach sich zog und schließlich das ganz Finanzsystem fast in den Abgrund riss, hatten schlaue Köpfe, promovierte Mathematiker unter ihnen, auf Finanzderivaten aufbauende Geschäftsmodelle für sicher erklärt. Ganz rational sozusagen. Schon Jahre zuvor hatten einige Experten allerdings vor der Immobilienblase in den USA gewarnt. Ihr Ruf verhallte fast ungehört. Nun sind wir immer noch beim Zusammensuchen der Scherben des Desasters und es ist nicht vorbei. Die Liquidität der südeuropäischen EU-Mitglieder wackelt und mit ihr der Euro. Und dabei hatten wir es des doch schon irgendwie im Gefühl, dass das nicht lange gut gehen kann, oder? Wohlstand massiv auf Pump und dann auch noch Spekulation mit geliehenem Geld.

Hätten wir uns doch besser auf unseren Bauch verlassen sollen? Funktioniert der besser als unser Kopf? Die Neurowissenschaftler sagen: Es kommt darauf an. Bei trivialen, überschaubaren  Entscheidungen ist die Ratio, unsere Vernunft der bessere Ratgeber. So ist eine Investitionsentscheidung oft genug eine Frage guter Kalkulation. Rechnen und Nachdenken schadet also nicht. Aber, so sagen die Hirnforscher, wenn es komplex wird, dann ist der fürs bewusste, rationale Denken zuständige Frontallappen unseres Großhirns überfordert. Der arbeitet nämlich ähnlich wie ein serieller Computer. Er ist langsam und kann obendrein kann wenige Variablen gleichzeitig verarbeiten. Maximal fünf bis sieben. Da ist es dann besser, auf unbewusste Erfahrungen in unserem Gehirn zurückzugreifen. Der Psychologe Julius Kuhl nennt sie das  Extensionsgedächtnis. Im Gegensatz zu unserer bewussten Erfahrung speichert unser Unbewusstes aber nicht die konkreten Erinnerungen, sondern die Quintessenz unserer gesammelten Erfahrungen. Und die dringt dann oft genug als „Bauchgefühl“ in unser Bewusstsein.

Alles Theorie und für das Geschäftsleben wenig brauchbar? Nein, auch belegbar nützlich. Selbst Börsenmakler erzielen höhere Gewinne, wenn sie intuitiv kaufen und verkaufen. Das jedenfalls konnten Versuche im Hirnscanner zeigen. „Gut, gut, aber aufs Management ist das doch nicht übertragbar. Da brauchen wir Marktanalysen und Messinstrumente, um Risiken zu reduzieren, oder?“  Sicher? Nicht sicher, denn gerade unternehmerisches Handeln ist Handeln in einem dynamischen Umfeld. Selbstorganisierte, lernende Systeme, und dazu zählen menschliche Individuen ebenso wie Märkte, lassen sich mit statischen  Denkmodellen nicht hinreichend genau erfassen. Zu veränderlich sind die Variablen und Parameter – wenn wir sie denn überhaupt alle messen können.

Deshalb verlassen sich unternehmerisch handelnde Menschen eben mehr auf ihre Intuition als auf Marktanalysen. In einer Untersuchung von Serien-Gründern, also unternehmerischen Wiederholungstätern, konnten erfolgsbestimmende Eigenschaften herausgearbeitet werden.  Die haben nämlich sozusagen im Blut, dass sich komplexe Systeme nicht nach Marktprognosen und Risikokalkulationen richten. Unternehmerische Entscheidungen sind nämlich immer Entscheidungen mit Risiko und nicht nur Entscheidungen unter Unsicherheit. Letztere lassen sich mit den verschiedensten Modellen der Entscheidungetheorie erfassen, wenn wir nur genügend genaue Informationen haben. Bei Entscheidungen unter Risiko kennen wir aber nicht einmal alle Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich der Markt verhält.   Und da heißt es dann: auf Sicht navigieren.

Die Autoren Leonard A. Schlesinger, Charles F. Kiefer und Paul B. Brown berichten in ihrem Buch „Just Start“ von 27 erfolgreichen Seriengründern, aus deren Arbeitsweise sie sechs Regeln abgeleitet haben:

  1. Vorhandene Mittel nutzen: Eigene Erfahrung und Kenntnisse sowie hilfreiche Kontakte einsetzen.
  2. Verluste begrenzen: Wie viel Zeit und Geld können Sie aufwenden, ohne im Fall des Scheiterns abzustürzen? Was geben Sie dafür an lukrativen Geschäften auf?
  3. Unterstützung für den nächsten Schritt sichern: Wer kann Ihnen nützlich sein, wer bringt Sie weiter? Halten Sie sich dabei an diejenigen, die ihr Projekt unterstützen und nicht an die ewigen Zweifler und Nörgler.
  4. Nur mit echten Unterstützern arbeiten: Nur wer Sie freiwillig und vorbehaltlos unterstützt, kann Ihr  Projekt nennenswert mit voranbringen.
  5. Setze Sie sich ein Ziel und sorgen Sie für frühe Erfolge: Ohne klares Ziel könnte ihr Projekt schlecht vermittelbar sein und ins Schlingern geraten. Erste Erfolge sorgen für die nötige Motivation weiter zu machen.
  6. Steuern Sie die Erwartungen: Verfolgen Sie anfangs die Politik der kleinen Schritte und wecken Sie keine überzogenen Erwartungen.

Bei alledem schadet Denken übrigens wirklich nichts. Und wenn sie sich auf unbekanntem Terrain bewegen, dann ist es wenig abwegig, sich mit der Gegend erst vertraut zu machen, Informationen zu sammeln – und das alles Sacken zu lassen. Dann lassen sie ihr Unterbewusstsein daran arbeiten. Das arbeitet nämlich auch, wenn sie mal nicht denken – so ganz nebenbei. Und sie bekommen dann eben das berühmte Bauchgefühl dafür, welche Wege Sie am besten gehen sollten. Nur den ersten Schritt  müssen Sie dann schon selbst tun. Ganz bewusst. Und warten Sie nicht, bis irgendjemand die Ampel auf Grün schaltet.

Literatur:

Leonard A. Schlesinger, Charles F. Kiefer (2012): Just Start: Take Action, Embrace Uncertainty, Create the Future. Harvard Business School Press, 200 S.

 

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