Perfekt und erfolglos

Mit Perfektionismus zum Erfolg? Unser Ausbildungssystem ist immer noch darauf gerichtet, perfekte Fachleute hervorzubringen. Dabei ist fachliche Exzellenz schon lange nicht mehr ausreichend für beruflichen Erfolg. Sie kann sogar kontraproduktiv sein, wenn Perfektion zu Perfektionismus wird.

Per F. versteht die Welt nicht mehr. Seine Zeugnisse sind bestens, der Beginn seiner Karriere war es auch, aber nun steckt er in der Perfektionismusfalle. „Meine sorgfältige Arbeitsweise, die mich so weit gebracht hat, findet keine Anerkennung mehr. Ich habe manchmal das Gefühl, ich laufe damit gegen eine Wand.“  Per F. ist kein Einzelfall. Immer wieder scheitern begabte Menschen an Ihrem Anspruch an Perfektion. Wird Perfektion, der Deutschen liebste Tugend, zum Auslaufmodell?  Gerade Fachkräfte, die in Führungspositionen wechseln, tun sich oft damit schwer, ihren Fokus von der fachlichen Perfektion zu einer Managementpersektive  zu wechseln. Aber auch unterhalb der Führungsebene ist Perfektionismus nicht immer eine weise Tugend.  Wie kann das sein?  Brauchen wir keine exzellenten Fachkräfte mehr? Sind wir auf der Reise ins Zeitalter der Beliebigkeit und der Mittelmäßigkeit? So könnte man meinen, aber ganz so einfach, ganz so schwarz-weiß ist die Welt nicht. Sie wird immer komplexer und eben das ist auch der Grund, warum Perfektion in bestimmten Situationen eben nicht hilfreich ist.

Aber nun mal der Reihe nach. Zum einen gibt es einen Unterschied zwischen Perfektion und Perfektionismus. Perfektion ist überall dort gut, wo Genauigkeit und beste Qualität gefragt ist. Für einen Feinmechaniker ist ein hundertstel Millimeter ein Maßstab, für den Zimmerer aber kaum. Es kommt also sehr darauf an, wie viel Perfektion gefragt ist. Ein Forscher muss seine Messungen unter Umständen sehr genau ausführen, um später nicht angreifbar zu sein. Aber er muss bei der Vorstellung seines Projektes nicht unbedingt jedes Detail beschreiben, um zu überzeugen. Doch viele Menschen verlieren sich im Detail, sind dann nicht mehr perfekt, sondern perfektionistisch. Sie schießen über das Ziel hinaus oder verlieren es vollkommen aus den Augen. Der Arbeitsprozess wird so zum Selbstzweck und verliert seine Funktion als Mittel zur Zielerreichung. Dabei ist eine grobe Skizze oft aussagekräftiger als ein detailliertes Bild, ist die grobe Richtung oft wichtiger als eine Punktlandung.

Perfektionismus ist immer ineffektiv, denn gerade das Feinst-Tunung erfordert viel Zeit und Ressourcen. Das Pareto-Prinzip besagt, dass wir in 20% der Zeit etwa 80% des Weges schaffen. Wer aber immer alles hundertprozentig erledigen will, benötigt das Vierfache an Zeit für die restlichen 20% des Weges. Und so ist weniger oft mehr. Nebeneffekt: Perfektionisten sehen oft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Sie haben den Kontakt zu dem verloren, worauf es ankommt. Erbsenzähler lassen so das Steak kalt werden und verpassen sogar den Nachtisch. Erfolg hat aber nicht, wer immer nur den Sinn fürs Grobe hat, sondern derjenige, der ein gutes Gespür dafür hat, wann Perfektion gefragt ist und wann es gut ist, Unschärfe, Unsicherheit oder sogar Risiko zuzulassen.

Was steckt hinter dem Perfektionismus?

Nach meiner Erfahrung aus einigen Coachingprozessen sind es mehrere Mechanismen:

  • Es ist oft die Angst vor Fehlern, oder das Gefühl, die Erwartungen anderer nicht ausreichend erfüllen zu können.  Befördert wird das regelmäßig durch eine große Selbstunsicherheit oder gar ein negatives Selbstkonzept („Ich bin halt nicht so gut, darum muss ich mich mehr anstrengen.“)
  • Teilweise ist es die Flucht ins Detail als Ersatz für den großen Wurf. Der Erfolg im Großen wird durch Mikroerfolge ersetzt. Symptomatisch für diese Spezies Menschen ist eine Detailverliebtheit, die Andere zum Wahnsinn treibt.  Und sie ist oft auch ein Nebeneffekt  der Prokrastination, der sogenannten Aufschieberitis. Man widmet sich lieber dem Kleinklein, um wichtigere Dinge nicht anfassen zu müssen („oh, ich hab noch gut zu tun …”).

Oft hilft schon die Offenheit, einen Schritt zurück zu treten und das Ganze zu betrachten, Perspektivenwechsel inbegriffen. So vermeidet man auch, gegen die Wand zu laufen – zehn Zentimeter neben der offenen Tür.

Was Sie gegen perfektionistische Neigungen unternhemen können, erfahren Sie im Coaching-Tipp. in der nächsten Woche.

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