Selbstwirksamkeit: Warum der Verstand die Emotionen braucht

Descartes: Verstand wider Emotionen?Für rationale Entscheidungen benötigen wir doch keine Emotionen, oder? Emotionen sind der Vernunft doch eher abträglich, nicht wahr? So meinen wir. Doch dieses Weltbild wankt. Der Bauch dominiert den Kopf – der rational gesteuerte Homo oeconomicus ist ein Mythos vergangener Zeiten. Und mehr noch: Ohne unseren Bauch und ohne Emotionen könnten wir gar nicht vernünftig handeln. 

Mr. Elliott war bis zu seiner Erkrankung ein erfolgreicher Manager gewesen. Aber seit die Ärzte bei ihm einen Hirntumor erfolgreich entfernten, war sein Leben nicht mehr so wie vorher. Dabei fing alles ganz verheißungsvoll an. Er hatte Glück. Der Tumor war klein, die Operation komplikationslos und die Genesung verlief gut. Mr. Elliott konnte bald seinen Job wieder aufnehmen. Doch er bekam sein Leben nicht mehr in den Griff. Elliott neigte zu wenig durchdachtem Verhalten, zu planlosen Kurzschlusshandlungen und verlor schließlich seinen Job.

Eine Untersuchung ergab: Mr. Elliots Intelligenz war überdurchschnittlich, sein analytischer Verstand nicht beeinträchtigt und dennoch war er nicht mehr in der Lage, sein Leben zu steuern. Die Ärzte waren ratlos. Bei dem Patienten ließ sich keine mentale Erkrankung diagnostizieren – und dennoch stimmte mit ihm etwas nicht. Als schließlich der Neurobiologe Antonio Damásio seine emotionale Empfindungsfähigkeit untersuchte, stellte sich heraus, dass Elliott zwar noch Emotionen wahrnehmen konnte, sie ihn aber nicht mehr berührten. Er konnte Emotionen erklären, sie aber nicht fühlen. Weitere Untersuchungen ergaben: Elliotts Verstand hatte mit den Emotionen das Fundament verloren, das ihm vernünftiges Handeln ermöglicht hätte.

Eine Ausnahme? Keinesfalls. Der Befund konnte bei Menschen mit Schädigung der gleichen Hirnregionen bestätigt werden. Diese Erkenntnis erschütterte das Verständnis unserer Ratio bis ins Mark. Bestimmte Regionen im Vorderhirn, welche für die Verarbeitung der Körperwahrnehmung zuständig sind, waren bei diesen Patienten geschädigt.

Damásio entwickelte daraus seine Theorie der somatische Marker. Emotionen sind immer mit einem bestimmten Körpergefühl verbunden. Sei es das Kribbeln im Bauch, die Gänsehaut, der trockene Hals, das pochende Herz, das beklemmende Gefühl in der Brust oder das Empfinden, dass uns der Boden unter den Füßen wegbricht.

Unser Verstand kann offensichtlich nicht ohne Emotionen. Er braucht sie wie das Feuer den Sauerstoff. Aber warum?

Erfahrung schlägt Verstand

Die Psychologie hat sich lange vorwiegend mit messbarem Verhalten und bewusstem Denken befasst. Doch seit den 1990er Jahren konnten uns die Neurobiologen zeigen, dass wir damit nur die Oberfläche unseres Gehirns betrachten. Unbewusste Prozesse dominieren unser Denken und Handeln mehr als wir glauben und als uns das manchmal lieb ist. Den reinen Verstand gibt es gar nicht. Oder, wie es der Bonner Hirnforscher Christian Elger formuliert: „Es gibt keine Fakten ohne Emotionen“. Und das ist auch gut so, denn Emotionen sind die Boten unseres unbewussten Erfahrungsgedächtnisses. Und das ist viel schlauer als wir glauben.

Warum trifft ein erfahrener Manager meist bessere Entscheidungen als ein top-ausgebildeter Studienabgänger und Berufsanfänger? Weil sein umfangreiches Erfahrungswissen immer besser ist, als es abstrakte Kenntnisse je sein können. Unsere Emotionen sind dabei der Gradmesser der intuitiven Vernunft. Sie sind gewissermaßen das Fieberthermometer unserer Ratio. Wenn wir glauben, eine rationale Entscheidung getroffen zu haben, dann hat unsere Intuition diese schon klammheimlich vorbereitet und über positive Emotionen sein Plazet zur Entscheidung gegeben. Daher kann jemand wie Mr. Elliott, der in seiner Empfindungsfähigkeit gestört ist, nicht mehr vernünftig handeln.

„Aber Moment mal! Wir können doch aber Entscheidungen auf sachlicher Grundlage treffen“, denkt jetzt der Eine oder Andere. Ja, können wir, aber die setzen wir nur dann in Handeln um, wenn uns unsere Intuition über emotionale Empfindungen signalisiert, dass das in Ordnung geht. Kennen Sie das Gefühl, dass sie etwas vermeintlich wollen, aber nicht wirklich tun – oder eben völlig anders, als sie „eigentlich“ wollten? „Es“ macht dann etwas mit Ihnen, was das „Ich“ so gar nicht beabsichtigt hatte. Unser Emotionen sind immer die letzte Instanz.

Hübsche Mädels makeln besser

In Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung konnte belegt werden, dass in Entscheidungssituationen das limbische System aktiviert ist, Emotionen also immer eine Rolle spielen. Das limbische System im Gehirn ist nämlich maßgeblich an der Entstehung von Emotionen beteiligt. In einem interessanten Versuch mit Börsenmaklern im Hirnscanner konnte vor einigen Jahren an der Stantford University gezeigt werden, dass das innere Bewertungssystem des Gehirns besser makeln kann, als das rational abwägende Frontalhirn der Versuchspersonen. Und um dem Ganzen noch eins draufzusetzen: In einem sehr amüsanten (allerdings unwissenschaftlichen) Test hat man prominente Modells gebeten, Börsentipps zu geben und hat dann die Erfolgsquote mit der von professionellen Analysten verglichen. Die Modells erreichten die höheren Gewinne. Fast könnte man meinen, Intuition wäre selbst an der Börse der beste Ratgeber.

Damásio bringt es auf den Punkt, indem er sagt, René Descartes habe sich geirrt. Die Aussage „Ich denke, also bin ich“ müsse ersetzt werden durch „Ich fühle, also bin ich“. Er sagt, unser Körper sei „die Bühne der Gefühle“ und konnte nachweisen, dass die schon erwähnten somatischen Marker als Bewertungssystem für Entscheidungen unerlässlich sind. Funktioniert dies System wie bei Elliot nicht, neigen die betroffenen Menschen zu kurzsichtigen Handlungen.

Emotionen sind also unter Umständen sogar sehr vernünftig, helfen sie uns doch gerade in schwierigen Situationen, gute Entscheidungen zu treffen. Echte Entscheidungen sind nämlich immer unterdeterminiert, also nicht berechenbar. Das heißt: Uns fehlen Informationen, um rational zu entscheiden. Erst dadurch werden Entscheidungen ja erst zu Entscheidungen. Denn was klar ist, muss nicht entscheiden werden, sondern ergibt sich folgerichtig wie von selbst. Es ist paradox: Nur was wir nicht entscheiden können, können wir entscheiden. Emotionen helfen uns dabei.

Geist braucht Körper

Die Trennung von Körper und Geist ist eine künstliche, die so nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Unser Verstand kann nicht ohne körperliche Empfindungen, nicht ohne Emotionen – und ungekehrt geht es auch nicht. Schalten wir unsere Ratio aus, lassen uns also nur durch unsere Emotionen leiten, verzichten wir auf ein wichtiges Regulativ, das uns Menschen auszeichnet.

Wie wichtig unser Körper für intelligentes Handeln ist, musste übrigens auch inzwischen die Forschung zur künstlichen Intelligenz zerknirscht feststellen. Intelligenz braucht nicht nur eine gute Wahrnehmung, sondern auch einen bewegten Körper. Die Forscher sprechen von „emodied Cognition“, verkörperlichtem Verstand. Kein Roboter könnte aus dem Inhalt eines Kühlschranks eine Mahlzeit zusammenstellen. Er würde schlichtweg den Käse nicht von der Gelbwurst unterscheiden können und das Brot unter Umständen mit einem Schinken verwechseln. Wir müssen Dinge im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“, um sie zu verstehen.

Unser Gehirn ist daher auch keine Datenbank, sondern ein Erfahrungsspeicher, dessen Inhalt uns zum größten Teil nicht bewusst ist. Auch die Verarbeitung unserer Erfahrungen geschieht größtenteils unbewusst und daher funktioniert unser Gehirn meist wie ein Autopilot. Denken dient lediglich als Regulativ.

Embodiment: Körper steuert Emotionen

Doch kommen wir zurück zu den Emotionen. Wenn unser Körper die Bühne der Gefühle ist, dann müssten wir doch eigentlich auch mit unserem Körper unsere Emotionen steuern können und umgekehrt, oder?  Genau so ist es. Die Züricher Psychologin Maja Storch und der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther nennen das Embodiment. Auf Haltung folgt Verhalten. Oder, wie es der Heidelberger Hypnotherapeut Gunther Schmidt formuliert: „So wie man geht, so geht es einem.“

Und genau deshalb ist der bewusste Einsatz unseres Körpers, sind Haltungen, Bewegungen, Mimik und Gestik so wichtig für unsere Befindlichkeit. Über unseren Körper können wir, immerhin bis zu einem gewissen Maße, Stimmungen steuern. Lassen Sie mal Ihre Schultern und den Kopf hängen und versuchen Sie, sich dabei selbstsicher und voller Energie zu fühlen. Sie werden feststellen: Es geht nicht.

Sie können Embodiment im beruflichen Alltag bewusst einsetzen: Schwierige Telefonate sollten Sie besser im Stehen führen, da Sie nur dann volle Bewegungsfreiheit haben. Auch bei Präsentationen sollten Sie auf Ihre Haltung achten. „Trimmen“ Sie diese so, dass Sie sich wirklich sicher fühlen. Sie kommen dann übrigens auch überzeugender rüber. Das geht nicht unbedingt auf Knopfdruck und bedarf ein wenig Übung. Auch sollten Sie vermeiden, dabei eine verkrampfte Figur zu machen. Achten Sie einmal auf Gestik und Mimik charismatischer Redner.

Vor allem: Achten Sie verstärkt auf Körpersignale. Eine unangenehme  Emotion verlangt nach Veränderung. Ihre Emotionen sind Indikatoren dafür, ob Sie sich hin zu oder weg von etwas bewegen sollten. Geben Sie sich aber einer „negativen“ Emotion nicht einfach hin, sondern prüfen Sie, ob diese auch bei veränderter Haltung stabil ist oder ob andere Empfindungen entstehen, wenn Sie die Körperhaltung ändern. Dazu müssen Sie sich bewegen. Strecken Sie Ihre Wirbelsäule, heben Sie leicht den Kopf und drücken Sie die Schultern etwas nach hinten. Selbst ein bewusstes Lächeln kann Ihre Stimmung positiv steuern. Das ist nachgewiesen.

Sport kann übrigens auch eine Form des Embodiment sein. Nämlich dann, wenn Sie in einen Flow kommen, wenn Ihre Endorphine Ihnen ein „rundum-glücklich-Gefühl“ bescheren. Gute Redner erleben so etwas übrigens auch bei einer gelungenen, authentischen Präsentation – mit vollem Körpereinsatz.

Sie sehen: Ihre mentale Leistungsfähigkeit braucht Ihren Körper und Ihre Emotionen. Beachten Sie beide und gehen Sie sorgsam damit um. Vor allem aber: nutzen Sie diese.

(zuerst erschienen im Business Village Magazin)

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